Kommentar

Führt ein Unternehmer steuerfreie Umsätze aus, kann er unter bestimmten Voraussetzungen auf die Steuerfreiheit des Umsatzes nach § 9 UStG verzichten. Für den Verzicht und die Rücknahme des Verzichts gelten keine gesetzlichen Regelungen. Die Finanzverwaltung ging bisher davon aus, dass der Verzicht wie auch die Rücknahme des Verzichts solange möglich ist, wie die Steuerfestsetzung für diese Leistung noch vorgenommen werden kann. Der Verzicht war deshalb auch dann noch möglich, wenn eine Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert wurde[1].

Mit Urteil vom 10.12.2008 hatte der BFH[2] – in einem Verfahren zum rückwirkenden Wechsel der Besteuerung von der Ist- zur Sollbesteuerung – die Rückgängigmachung der Optionen nach den §§ 9, 19, 23 UStG als auch die Rückgängigmachung der Istbesteuerung im Rahmen des § 20 UStG gleichgestellt und einen rückwirkenden Antrag sowie die rückwirkende Rücknahme desselben bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft für zulässig erachtet.

Wichtig

Formelle Bestandskraft tritt ein, wenn die Rechtsbehelfsfrist im Verwaltungsverfahren und die Klagefrist bzw. die Rechtsmittelfrist im gerichtlichen Verfahren abgelaufen und daher Unanfechtbarkeit eingetreten ist. Die Bestandskraft kann nur bei Vorliegen bestimmter, gesetzlich geregelter Tatbestände durchbrochen werden[3].

Die Finanzverwaltung wendet jetzt die Grundsätze aus dem BFH-Urteil an. Damit kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung wie auch die nachträgliche Rücknahme des Verzichts nur bis zur formellen Bestandskraft vorgenommen werden. Allerdings kann sich der Steuerpflichtige für alle vor dem 1.11.2010 ausgeführten Sachverhalte (Option bzw. Widerruf) auf die insoweit günstigere Verwaltungsanweisung berufen.

Wichtig

Die neue Rechtslage ist auch schon in den Anwendungserlass mit aufgenommen worden (Abschn. 9.1 Abs. 3 UStAE).

Konsequenzen für die Praxis

Die Verwaltungsanweisung ist folgerichtig und – auch wenn sie damit die Gestaltungsspielräume für die Steuerpflichtigen einschränkt – zu begrüßen. Die rückwirkende Ausübung von Wahlrechten führt in der Praxis immer zu Folgeproblemen. Dabei ist zu bedenken, dass die rückwirkende Änderung im Zusammenhang mit der Option nach § 9 UStG im Regelfall nicht nur den das Wahlrecht ausübenden Unternehmer betrifft, sondern auch seinen Vertragspartner.

Praxis-Tipp

Hat der Unternehmer nach einer Option Umsatzsteuer in Rechnungen gesondert ausgewiesen – wozu er nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 UStG verpflichtet ist – und widerruft er nachträglich diese Option, stellt die gesondert berechnete Umsatzsteuer eine unrichtig ausgewiesene Steuer dar, die nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldet wird. Allerdings greift in diesen Fällen nicht das einfache Berichtigungsverfahren nach § 14c Abs. 1 UStG, sondern das strengere Berichtigungsverfahren nach § 14c Abs. 2 UStG. Der Unternehmer muss die Rechnung berichtigen und dann bei seinem Finanzamt die Korrektur der unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer beantragen. Erst wenn sichergestellt ist, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist, kann auch für den leistenden Unternehmer die Umsatzsteuer korrigiert werden.

 

Link zur Verwaltungsanweisung

BMF, Schreiben v. 1.10.2010, IV D 3 – S 7198/09/10002, BStBl 2010 I S. 768.

[3] Vgl. Frotscher in Schwarz, Kommentar zur AO, Vorbemerkungen zu § 172-177, Rz. 9.

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