Rz. 97

Im Vertragsarztrecht treffen u. a. weisungsfreie Ausschüsse Behördenentscheidungen. Über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. § 95 SGB V) entscheiden die Zulassungsausschüsse für Ärzte und Zahnärzte (vgl. § 96 Abs. 1 SGB V). Deren Entscheidungen über die Zulassung bzw. die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertrags(zahn-)ärztlichen Versorgung stellen Verwaltungsakte dar. Auch nach der Neuregelung des einstweiligen Rechtsschutzes im SGG durch das 6. SGG-Änderungsgesetz v. 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144) ist es bei den Sonderregelungen für das vertragsarztrechtliche Zulassungsrecht geblieben.

 

Rz. 98

Gegen Entscheidungen der Zulassungsausschüsse kann der Berufungsausschuss angerufen werden (§ 96 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Das Verfahren vor dem Berufungsausschuss "gilt" nach § 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V als Vorverfahren (§ 78 SGG), ohne ein solches zu sein. Die Anrufung des Berufungsausschusses hat nach § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V aufschiebende Wirkung; dieser kann nach § 97 Abs. 4 SGB V die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen (vgl. BSG, Beschluss v. 5.11.2003, B 6 KA 11/03 R, BSGE 91 S. 253).

 

Rz. 99

Sonderregelungen, die § 86a Abs. 2 Nr. 5 oder Abs. 3 entsprechen würden, gibt es nicht. Der Betroffene kann jedoch gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Gericht, oder falls der Berufungsausschuss eine Vollziehungsanordnung getroffen hat, die Anordnung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht beantragen. Wird gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses Klage erhoben, so gelten die §§ 86a, 86b SGG. Die Sonderregelungen betreffen allein das Widerspruchsverfahren, d. h. die Befugnis des Berufungsausschusses schließt die Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG nicht aus, wonach das Gericht (auch in Zulassungssachen) auf Antrag die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung anordnen (Nr. 1) bzw. die angeordnete Vollziehung aussetzen kann (Nr. 2).

 

Rz. 100

Nach § 97 Abs. 4 SGB V ist der Berufungsausschuss in jedem Fall von Amts wegen gehalten, über die Ausübung der ihm in dieser Vorschrift zugewiesenen Befugnis, die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse anzuordnen, zu beraten und ggf. zu entscheiden. Diese Entscheidung muss, insbesondere wenn kein Beteiligter einen entsprechenden Antrag gestellt oder eine entsprechende Anregung gegeben hat, zumindest dann, wenn sie gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgefallen ist, nicht ausdrücklich dokumentiert werden. Es gehört indessen zu den Amtspflichten des Berufungsausschusses, jeweils zu erwägen, ob die Vollziehung anzuordnen ist (BSG, Urteil v. 17.10.2007, B 6 KA 4/07 R, SozR 4-1935 § 17 Nr. 1). Gemäß § 97 Abs. 4 SGB V hat die Vollziehungsentscheidung von Amts wegen zusammen mit der Hauptsacheentscheidung zu ergehen. Wird vor dem Berufungsausschuss ein Antrag auf Anordnung der Vollziehung gestellt, liegt darin der Sache nach nur eine Anregung (BSG, a. a. O.).

 

Rz. 101

Nach § 97 Abs. 4 SGB V kann der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung nur im öffentlichen Interesse anordnen; demgegenüber sieht § 86a Abs. 2 Nr. 5 diese Möglichkeit auch im überwiegenden Interesse eines Beteiligten vor. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG muss aber auch im Anwendungsbereich des § 97 Abs. 4 SGB V die sofortige Vollziehung im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet werden können (Keller, § 86a Rn. 23, Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, § 86a Rn. 40). Dies gilt umso mehr, wenn die Auffassung vertreten wird, dass einstweiliger Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Zulassungsausschüsse nicht möglich ist (hierzu LSG NRW, Beschluss v. 4.9.2002, L 10 B 2/02 KA ER, MedR 2003 S. 310; Beschluss v. 25.10.2006, L 10 B 15/06 KA ER; Frehse, in: Schnapp/Wigge, § 23 Rn. 107 ff.; vgl. Rz. 86). Ausgehend hiervon ist § 97 Abs. 4 SGB V nicht obsolet (so aber Hencke, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 97 Rn. 10), stellt vielmehr für das vertragsärztliche Zulassungsrecht eine Sonderregelung dar (Keller, SGG, § 86a Rn. 23). Der Zulassungsausschuss besitzt keine Kompetenz zum Erlass einer solchen Anordnung (vgl. Rz. 68).

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