Rz. 203

Nach § 48 ZPO hat der Richter alle Umstände offenzulegen, die aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Zweifel an seiner Unparteilichkeit und Unabhängigkeit wecken können, die also die Besorgnis der Befangenheit vertretbar erscheinen lassen. Die Besorgnis der Befangenheit führt sonach zur Ablehnung, wenn aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss v. 2.12.2015, RiZ (R) 1/15). Eine Anzeigepflicht besteht nach § 48 ZPO nur für solche Umstände, die einen Ausschluss kraft Gesetzes (§ 41 ZPO) oder eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) rechtfertigen könnten. Ob die angezeigten Umstände die Besorgnis der Befangenheit begründen, hat dementsprechend nicht der anzeigende Richter zu entscheiden, sondern das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht. Die Erklärung, sich selbst für befangen zu halten, gehört nicht zum notwendigen Inhalt einer Selbstanzeige (vgl. Rz. 202). Mit der Selbstanzeige sollen nur Verhältnisse, wie sie in §§ 41 und 42 ZPO beschrieben sind, angezeigt werden. Die Entscheidung, ob aus den angezeigten Gründen tatsächlich ein gerechtfertigter Grund für die Annahme der Befangenheit vorliegt, ist allein Aufgabe des Gerichts, das zur Entscheidung über die Selbstanzeige berufen ist (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 23.3.2007, L 2 AR 5/07 SAB). Das Gericht hat eine Selbstanzeige für unbegründet zu erklären, wenn kein Grund vorliegt und von den Parteien auch nicht geltend gemacht worden ist, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu begründen (BGH, Beschluss v. 19.01.2016, VI ZR 260/15).

 

Rz. 204

Im Falle der Selbstablehnung legt der Richter die Akten mit einer dienstlichen Stellungnahme vor. Hieraus ist kein eigenes Ablehnungsrecht des Richters herzuleiten. Da die Frage der Befangenheit die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und damit in ihrer prozessualen Rechtsstellung berührt, kann die Selbstablehnung eines Richters nicht als innerdienstlicher Vorgang gewertet werden. Vielmehr muss den Prozessparteien Gelegenheit gegeben werden, sich zu Sachverhalten, die regelmäßig die persönlichen Verhältnisse einer Partei oder besondere Umstände der Streitsache betreffen, soweit sie für die Beurteilung der Befangenheit bedeutsam sind, zu äußern. Demzufolge wird Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn sich das Gericht bei der Beurteilung der Befangenheit allein auf die dienstliche Darstellung des betroffenen Richters stützt (BVerfG, Beschluss v. 8.6.1993, 1 BvR 878/90).

 

Rz. 205

Das Gericht verletzt das rechtliche Gehör der Beteiligten, wenn ein ehrenamtlicher Richter seiner Pflicht zur Selbstanzeige gemäß § 48 ZPO nicht nachgekommen ist (BVerwG, Beschluss v. 7.3.2017, 6 B 53/16). Das hat rechtliche Folgen. Ein Verfahrensmangel in Form der Gehörsrüge wegen Verletzung der richterlichen Pflicht zur Selbstanzeige (§ 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 48 ZPO) liegt vor, wenn kein Ablehnungsgesuch gestellt werden konnte, weil das Vorliegen eines Ausschluss- oder Ablehnungsgrunds den Verfahrensbeteiligten vor Abschluss des Verfahrens aufgrund des Verstoßes gegen die richterliche Offenbarungspflicht nicht bekannt war (VGH München, Beschluss v. 31.3.2017, 8 ZB 15.1238).

 

Rz. 206

Beispiele aus der Rechtsprechung:

OLG Düsseldorf, Urteil v. 1.10.2017, VI-U (Kart) 9/17: Die Tatsache, dass der Richter das Organmitglied einer Streitpartei duzt, gehört ohne weiteres zu den offen zu legenden Umständen, weil das "Du" Ausdruck eines persönlichen Näheverhältnisses (z. B. einer Freundschaft) sein kann, das den Richter nicht mehr unvoreingenommen erscheinen lässt. In seiner Selbstablehnung hat der Richter nicht nur die Tatsache des Duzens mitzuteilen, sondern auch das dahinter stehende Näheverhältnis so detailliert zu beschreiben, dass die relevanten Umstände des Falles aufgedeckt und gewürdigt werden können. Es begründet die Besorgnis der Befangenheit, wenn der abgelehnte Richter das Organmitglied einer Streitpartei in der mündlichen Verhandlung siezt und hierdurch das zwischen ihnen ansonsten gepflegte "Du" verheimlicht.

BVerwG, Beschluss v. 7.3.2017, 6 B 53/16: Ein ehrenamtlicher Richter verletzt seine Pflicht zur Anzeige eines Befangenheitsgrundes, wenn er in einem Anfechtungsprozess, in dem Gegenstand auch ein Widerspruchsbescheid des Kreises ist, nicht auf seine Stellung als Kreistagsmitglied hinweist.

OLG Jena, Beschluss v. 15.8.2016, 1 Ws 305/16: Der Umstand, dass die Vorsitzende Richterin mit einem an derselben Entscheidung mitwirkenden (beisitzenden) Richter der "großen" Strafvollstreckungskammer – unter Führung verschiedener Nachnamen – verheiratet ist, stellt eine anzeigepflichtige und den Verfahrensbeteiligten mitzuteilende Tatsache dar.

BGH, Beschluss v. 18.12.2014, V ZR 84/14: Auch ohne unmittelbaren Kontakt zu einer Partei können ähnlic...

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