1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift knüpft an die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit an und bestimmt für die ehrenamtlichen Richter der Sozialgerichtsbarkeit durch eine rechtliche Gleichstellung mit den Berufsrichtern die sachliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG). Art. 97 Abs. 2 GG (persönliche Unabhängigkeit) gilt für die ehrenamtlichen Richter nicht. Ein Schutz insoweit genießen sie nur, als sie vor Ablauf der Amtszeit nur unter besonderen Voraussetzungen durch Entscheidung des zuständigen Spruchkörpers abberufen werden können. Parallelvorschriften sind § 19 VwGO, § 16 FGO und § 30 GVG. Diese Vorschriften stellen ausdrücklich klar, dass die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter bzw. Schöffen auf die mündliche Verhandlung und die Urteilsfindung beschränkt ist. Dies gilt auch für die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit, was durch § 12 Abs. 1 Satz 2 verdeutlicht wird. Die ehrenamtlichen Richter genießen damit den Schutz der Judikative vor Einflussnahmen anderer Staatsorgane. Gleichzeitig wird verdeutlicht, dass sie an Weisungen nicht gebunden sind. Dies gilt insbesondere gegenüber dem Verband oder der Stelle, die sie vorgeschlagen hat. Der ehrenamtliche Richter darf sich gegenüber dem Vorschlagenden nicht verpflichtet fühlen. Er übt sein Amt nicht als Interessenvertreter aus, sondern wegen seiner Kenntnisse und Erfahrungen im beruflichen Bereich. § 19 ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 und § 47 Satz 2 entsprechend für die Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht anzuwenden. Im Übrigen regelt die Vorschrift den Anspruch des ehrenamtlichen Richters auf Entschädigung.

2 Rechtspraxis

2.1 Rechte der ehrenamtlichen Richter

 

Rz. 2

Die ehrenamtlichen Richter üben ihr Amt mit gleichen Rechten wie ein Berufsrichter aus. Damit werden die Aufgaben der Amtsausübung nicht bezeichnet, sondern es wird lediglich klargestellt, dass ein ehrenamtlicher Richter bei der Ausübung der ihm kraft Gesetzes übertragenen Aufgaben gegenüber einem Berufsrichter gleichberechtigt ist. Zur Ausfüllung dieses Gleichstellungspostulates ist es aber zwingend erforderlich, die Aufgaben (Rechte) der ehrenamtlichen Richter zu bestimmen. Die ehrenamtlichen Richter wirken bei der mündlichen Verhandlung mit, nicht jedoch bei Entscheidungen oder sonstigem Tätigwerden außerhalb der mündlichen Verhandlung (z. B. Beschlüsse, Gerichtsbescheide, Sachverhaltsermittlung). Lediglich im Verfahren vor dem Bundessozialgericht ist eine weitergehende Beteiligung der ehrenamtlichen Richter vorgesehen (§§ 160a, 170a – Mitwirkung bei Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden und Äußerungsrecht zu Abfassung von Urteilen). In allen Instanzen haben sie das Recht, in der mündlichen Verhandlung Fragen zu stellen (§ 112 Abs. 4), bei der Entscheidungsfindung in der Beratung durch (sachliche) Darlegung ihrer Ansichten mitzuwirken und abzustimmen (§ 61 Abs. 2 SGG i. V. m. § 197 GVG – vor den Berufsrichtern und der jüngere vor dem älteren ehrenamtlichen Richter). Sie haben dabei das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter, sodass in einer Kammer des Sozialgerichts der Vorsitzende allein durch die Stimmen der ehrenamtlichen Richter überstimmt werden kann. Die ehrenamtlichen Richter üben ihr Amt jedoch nur zusammen mit den Berufsrichtern aus.

 

Rz. 3

Die ehrenamtlichen Richter haben nicht das Recht außerhalb der mündlichen Verhandlung die Akten einzusehen oder Aktenauszüge zu erhalten (ebenso Schmidt, in: Hennig, SGG, § 19 Rz. 5). Ihre Mitwirkung ist auf die mündliche Verhandlung beschränkt. Die für die Mitwirkung und Entscheidung notwendigen Informationen erhalten sie durch den Sachvortrag, die Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung sowie durch die Fragen an die Beteiligten und insbesondere an die Berufsrichter. Die Handhabung in der Praxis zeigt, dass die Annahme des Gesetzgebers, dies sei ausreichend, zutreffend ist; lediglich bei sehr komplexen Sachverhalten kann es angemessen sein, wesentliche Punkte chronologisch aufzulisten und den ehrenamtlichen Richtern in der Sitzung schriftlich vorzulegen. In Ausnahmefällen kann es sinnvoll oder gar erforderlich sein, Aktenauszüge vorab den ehrenamtlichen Richtern zu übersenden. Soweit Bildmaterial, Tonträger oder Filme Bestandteile der Akten sind, die für die Beurteilung relevant sind (z. B. etwa bei Angelegenheiten der Künstlersozialversicherung), muss den ehrenamtlichen Richtern der wesentliche Inhalt vor oder in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht werden. Es wird angenommen, dass eine weitergehende Information der ehrenamtlichen Richter durch Übersendung von Voten etc. für die mündliche Verhandlung zulässig ist (Binder/Bolay/Castendiek/Groß, SGG, § 19 Rz. 7; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 19 Rz. 3). Diese Entscheidung trifft allein der Spruchkörper und nicht die Gerichtsverwaltung, da es sich insoweit um eine der richterlichen Unabhängigkeit unterliegende Tätigkeit handelt. Eine Unterrichtung der ehrenamtlichen Richter vor der mündlichen Verhandlung (z. B. durch Übersendung der Voten) entbind...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Prüf Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen