Leitsatz (amtlich)
a) Auszugleichen im schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sind auch die in der irischen Sozialversicherung erworbenen Rentenanrechte.
b) Der Annahme einer unbilligen Härte des schuldrechtlichen Ausgleichs eines während langer Trennungszeit erworbenen Versorgungsanrechts kann es entgegenstehen, wenn zugunsten des Ausgleichspflichtigen bereits Versorgungen, die der andere Ehegatte während der Trennungszeit erworben hatte, im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich ausgeglichen wurden.
Normenkette
VersAusglG §§ 2, 20, 27
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Senats für Familiensachen des OLG Schleswig in Schleswig vom 22.11.2011 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstands: bis 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten über den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich eines in der irischen Sozialversicherung erworbenen Rentenanrechts.
Rz. 2
Der am 23.7.1943 geborene Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die am 8.11.1941 geborene Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) schlossen am 23.4.1976 die Ehe.
Rz. 3
Der Ehemann erwarb während der Ehezeit (1.4.1976 bis 31.10.2005) Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie aus einer betrieblichen Altersversorgung. Die Ehefrau erwarb zunächst Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See. Im Jahre 1994 trennten sich die Ehegatten. Nach der Trennung zog die Antragstellerin nach Irland und legte Versicherungszeiten in der irischen Sozialversicherung zurück.
Rz. 4
Auf den im Oktober 2005 zugestellten Scheidungsantrag hat das FamG die Ehe der Parteien durch Verbundurteil geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Bund hat das OLG den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass zugunsten der Ehefrau monatliche Rentenanwartschaften i.H.v. insgesamt 594,18 EUR, bezogen auf den 31.10.2005, übertragen und begründet wurden und dem Antragsteller zum weiteren schuldrechtlichen Ausgleich der betrieblichen Altersversorgung aufgegeben wurde, einen Betrag von 24.076,17 EUR auf das Versicherungskonto der Ehefrau einzuzahlen. Hinsichtlich der in Irland von der Ehefrau erworbenen Rentenanwartschaften hat das OLG den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehalten.
Rz. 5
Inzwischen beziehen beide Ehegatten eine laufende Versorgung. Aus der irischen Sozialversicherung erhält die Ehefrau eine Altersrente. Das Anrecht darauf erwarb sie i.H.v. 691,76 EUR während der Ehezeit. Auf Antrag des Ehemanns hat das FamG die Ehefrau verpflichtet, an ihn im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs ab dem 1.1.2009 eine monatliche Ausgleichsrente von 345,88 EUR zu zahlen. Das OLG hat die Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 6
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 7
Auf das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 5 FGG-RG, § 48 Abs. 3 VersAusglG das seit September 2009 geltende Verfahrensrecht und materielle Recht anzuwenden, weil am 31.8.2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen war.
Rz. 8
1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Das FamG habe zu Recht den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich in Form einer Ausgleichsrente angeordnet. Dies stelle keinen Eingriff in die irische Sozialversicherung dar, da nicht deren Zahlungspflicht, sondern eine Zahlungspflicht der Antragsgegnerin begründet worden sei. Bei der irischen Rentenanwartschaft handle es sich um ein gem. § 2 Abs. 2 VersAusglG auszugleichendes Anrecht, da es durch Arbeit geschaffen sei, der Absicherung des Alters diene und auf eine Rente gerichtet sei. Es handle sich um eine Grundrente, deren Höhe sich zwar nicht nach der Höhe, aber nach der Anzahl der Beitragsleistungen richte.
Rz. 9
Der schuldrechtliche Versorgungsausgleich sei auch nicht wegen Unbilligkeit auszuschließen (§ 27 VersAusglG). Zwar hätten die Ehegatten eine lange Zeit, nämlich rund zwölf Jahre, getrennt gelebt. Da die Antragsgegnerin jedoch selbst an den Versorgungsanwartschaften des Antragstellers partizipiert habe, die dieser während der Trennungszeit erworben hatte, sei es unbillig, ihm eine entsprechende Teilhabe an der während der Trennungszeit erworbenen irischen Rentenanwartschaft der Antragsgegnerin zu versagen.
Rz. 10
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 11
a) Bezieht die ausgleichspflichtige Person eine laufende Versorgung aus einem noch nicht ausgeglichenen Anrecht, so kann die ausgleichsberechtigte Person von ihr gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG den Ausgleichswert als Rente (schuldrechtliche Ausgleichsrente) verlangen.
Rz. 12
Anrechte in diesem Sinne sind im In- oder Ausland bestehende Anwartschaften auf Versorgungen und Ansprüche auf laufende Versorgungen, insb. aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aus anderen Regelsicherungssystemen wie der Beamtenversorgung oder der berufsständischen Versorgung, aus der betrieblichen Altersversorgung oder aus der privaten Alters- und Invaliditätsvorsorge (§ 2 Abs. 1 VersAusglG).
Rz. 13
Gemäß § 2 Abs. 2 VersAusglG ist ein Anrecht auszugleichen, sofern es durch Arbeit oder Vermögen geschaffen oder aufrechterhalten worden ist, der Absicherung im Alter oder bei Invalidität, insb. wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit, dient und auf eine Rente gerichtet ist. Dieser Regelung liegt die Vorstellung zugrunde, dass auf andere Weise als durch Arbeit oder Vermögen erworbene Versorgungsanrechte nicht auf einer gemeinsamen Lebensleistung der Ehegatten beruhen und damit nach dem Prinzip des Versorgungsausgleichs den Ausgleich nicht rechtfertigen würden (vgl. bereits BT-Drucks. 7/4361, 36).
Rz. 14
Unter die danach auszugleichenden Anrechte fällt auch die von der Antragsgegnerin in der irischen Sozialversicherung erworbene Rentenanwartschaft. Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich bei dieser um eine laufende Versorgungsleistung aus der irischen Sozialversicherung. Der Anspruch hierauf beruht auf Pflichtbeiträgen, die der Versicherte vor der Vollendung des 66. Lebensjahres in Abhängigkeit von seinem Einkommen als Angestellter oder Selbständiger zu erbringen hat. Somit handelt es sich um ein Rentenanrecht, das durch Arbeit geschaffen und aufrechterhalten wird. Darauf, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert, kommt es nicht an (vgl. BGH v. 6.2.2008 - XII ZB 66/07, FamRZ 2008, 770 Rz. 28 zur niederländischen AOW-Pension). Denn § 2 Abs. 2 VersAusglG verlangt nicht ein beitragsfinanziertes Versorgungssystem, sondern nur einen Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zwischen der Arbeitsleistung des Ehegatten und seinem Rentenanspruch. Ausgleichspflichtig wäre daher auch ein Rentenanspruch, der sich allein aus Arbeitgeberbeiträgen oder aus Steuermitteln finanziert, sofern nur das Teilhaberecht des Ehegatten auf seine Arbeit als Teil der gemeinsamen Lebensleistung zurückzuführen ist (vgl. BGH v. 6.2.2008 - XII ZB 66/07, FamRZ 2008, 770 Rz. 43).
Rz. 15
b) Zutreffend und auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen hat das sachverständig beratene OLG den Ehezeitanteil an der laufenden Versorgung auf monatlich 691,76 EUR festgestellt und hiervon die Hälfte schuldrechtlich ausgeglichen.
Rz. 16
c) Ebenfalls zu Recht hat das OLG keinen Härtefall nach § 27 VersAusglG angenommen. Nach dieser Vorschrift findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt grundsätzlich der tatrichterlichen Beurteilung, die im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur darauf hin zu überprüfen ist, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (vgl. etwa BGH v. 30.3.2011 - XII ZB 54/09 - FamRZ 2011, 877 Rz. 11; v. 11.9.2007 - XII ZB 107/04, FamRZ 2007, 1964; v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769, 770; v. 25.5.2005 - XII ZB 135/02, FamRZ 2005, 1238). Auf der Grundlage dieser eingeschränkten Überprüfung ist die durch das Beschwerdegericht vorgenommene Abwägung nicht zu beanstanden.
Rz. 17
aa) Zwar kann eine lange Trennungszeit der Parteien Anlass sein, den Ausschluss oder die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit zu erwägen. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, können im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigende Umstände auch darin bestehen, dass eine Versorgungsgemeinschaft durch lange Trennung der Ehegatten aufgehoben worden war (BGH v. 11.9.2007 - XII ZB 107/04, FamRZ 2007, 1964; v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769 m.w.N.). In diesen Fällen fehlt dem Versorgungsausgleich die eigentlich rechtfertigende Grundlage, denn jede Ehe ist infolge der auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft schon während der Phase der Erwerbstätigkeit im Keim eine Versorgungsgemeinschaft, die der beiderseitigen Alterssicherung dienen soll (BGH v. 28.9.2005 - XII ZB 177/00, FamRZ 2005, 2052 [2053]; v. 19.5.2004 - XII ZB 14/03 - FamRZ 2004, 1181 [1182]; v. 28.10.1992 - XII ZB 42/91, FamRZ 1993, 302, 303). Hat eine Versorgungsgemeinschaft wegen langer Trennungszeit nicht mehr bestanden, kann eine Korrektur des Versorgungsausgleichs deshalb unter Billigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt sein (BGH v. 11.9.2007 - XII ZB 107/04, FamRZ 2007, 1964; v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769). Für die Dauer der Trennung lässt sich dabei kein allgemeiner Maßstab anlegen. Sie wird aber umso eher zur Anwendung der Härteklausel führen, je länger sie im Verhältnis zum tatsächlichen Zusammenleben gewährt hat (BGH v. 11.9.2007 - XII ZB 107/04, FamRZ 2007, 1964).
Rz. 18
Einer Beschränkung des Versorgungsausgleichs steht dabei nicht entgegen, dass § 1 Abs. 1 VersAusglG den Wertausgleich grundsätzlich für die gesamte Ehezeit vorschreibt. Die Regelung beruht in erster Linie auf Zweckmäßigkeitserwägungen, insb. wollte der Gesetzgeber dem Ausgleichsverpflichteten die Möglichkeit nehmen, den Ausgleichsanspruch durch Trennung von dem Ehegatten zu manipulieren (vgl. bereits BGH v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769; v. 19.5.2004 - XII ZB 14/03, FamRZ 2004, 1181 [1183]; BT-Drucks. 7/4361, 36).
Rz. 19
Allerdings erfordert § 27 VersAusglG für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit, d.h. eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs muss unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen (BGH v. 21.3.2012 - XII ZB 147/10, FamRZ 2012, 845 Rz. 16; v. 30.3.2011 - XII ZB 54/09, FamRZ 2011, 877 Rz. 11 m.w.N.; v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769, 770; v. 25.5.2005 - XII ZB 135/02, FamRZ 2005, 1238, 1239, jeweils zu §§ 1587c, 1587h BGB). Die grobe Unbilligkeit muss sich wegen des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben (vgl. BGH v. 21.3.2012 - XII ZB 147/10, FamRZ 2012, 845 Rz. 16; v. 30.3.2011 - XII ZB 54/09, FamRZ 2011, 877 Rz. 11; v. 29.3.2006 - XII ZB 2/02, FamRZ 2006, 769, 770; BVerfG FamRZ 2003, 1173, 1174).
Rz. 20
bb) Nach diesem Maßstab sind die Erwägungen, mit denen das OLG das Vorliegen eines Härtefalls im Ergebnis verneint hat, nicht zu beanstanden. Das OLG hat berücksichtigt, dass die Ehegatten eine lange Zeit, nämlich zwölf von insgesamt rund 30 Ehejahren, getrennt gelebt haben. Auch hat das OLG durchaus berücksichtigt, dass der Antragsteller vorzeitig in den Ruhestand trat und damit am Ende der Ehezeit selbst keine ausgleichsfähigen Versorgungsanrechte mehr erworben hat, ohne dass es hier entscheidend darauf ankäme, ob die Verrentung - wie vom OLG angenommen - im Jahre 2005 oder - wie von der Rechtsbeschwerde herausgestellt - schon Mitte 2003 eintrat. Das OLG hat das Vorliegen einer unbilligen Härte nämlich mit der tragenden Begründung verneint, dass die Antragsgegnerin ihrerseits an den Versorgungsanwartschaften des Antragstellers partizipiert habe, die dieser in der seit 1994 währenden Trennungszeit erworben hat. Damit ist das OLG zutreffend davon ausgegangen, dass es der Annahme einer unbilligen Härte des schuldrechtlichen Ausgleichs entgegenstehen kann, wenn zugunsten des Ausgleichspflichtigen bereits eine Versorgung, die der andere Ehegatte während der Trennungszeit erworben hatte, im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich ausgeglichen wurde. Denn ein wechselseitiger Ausgleich von während der Trennungszeit erworbenen Anrechten mildert die Härte ab, die bei einem einseitigen Ausgleich zu Lasten nur eines Ehegatten entstünde. Die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs ist in der Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten unter Berücksichtigung des zugunsten der Antragsgegnerin bereits im Verbundverfahren vorgenommenen Versorgungsausgleichs somit auf der Grundlage der nicht zu beanstandenden Feststellungen des OLG keine unbillige Härte.
Fundstellen
Haufe-Index 3511571 |
NJW 2012, 6 |
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2013, 106 |
JZ 2013, 36 |
MDR 2013, 40 |
NZS 2013, 145 |
FF 2013, 41 |
FamFR 2012, 560 |
FamRB 2013, 104 |
FamRBint 2013, 29 |
NJW-Spezial 2013, 38 |
FK 2013, 101 |