Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsausgleich. Herabsetzung wegen grober Unbilligkeit bei langer Trennungszeit

 

Leitsatz (amtlich)

a) Auch bei langer Trennungszeit erfordert die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit nach § 1587c Abs. 1 Nr. 1 BGB im Einzelfall eine Gesamtwürdigung aller wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten.

b) Hat der ausgleichspflichtige Ehegatte während einer langen Trennungszeit (hier: 17 Jahre) widerspruchslos Trennungsunterhalt gezahlt, ohne von dem ausgleichsberechtigten Ehegatten die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu fordern, kann der Ausgleichsberechtigte ein schutzwürdiges Vertrauen auf Teilhabe an den bis zum Ende der Ehezeit erworbenen Anrechten auf Altersversorgung des Ausgleichsverpflichteten haben.

 

Normenkette

BGB § 1587c Nr. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.11.2001; Aktenzeichen 2 UF 264/00)

AG Kassel (Entscheidung vom 11.08.2000; Aktenzeichen 512 F 1964/99)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Familiensenats in Kassel des OLG Frankfurt vom 29.11.2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der weiteren Beschwerde - an das OLG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.945 EUR.

 

Gründe

I.

Der am 10.1.1942 geborene Antragsteller und die am 11.9.1944 geborene Antragsgegnerin haben am 26.4.1963 die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, von denen das Jüngste 1966 geboren wurde. Der Scheidungsantrag wurde der Antragsgegnerin am 14.9.1999 zugestellt; das am 11.8.2000 verkündete Verbundurteil des AG - FamG - ist zum Scheidungsausspruch rechtskräftig.

Die Parteien hatten sich im Jahre 1982 (nicht: 1980) getrennt. Die Antragsgegnerin war damals mit den gemeinsamen Kindern aus der Ehewohnung ausgezogen. Während der gesamten Trennungszeit hatte der Antragssteller aufgrund außergerichtlicher Vereinbarungen der Parteien Unterhalt an die Antragsgegnerin gezahlt, zuletzt i.H.v. monatlich 1.000 DM (511 EUR). Die Antragsgegnerin ist gelernte technische Zeichnerin, war jedoch seit 1964 nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt; sie ist in der Ehezeit lediglich unregelmäßig geringfügigen Beschäftigungen nachgegangen. Im Rahmen des Scheidungsverbundes haben sich die Parteien vor dem AG - FamG - auf einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 1.075 DM (549,64 EUR) geeinigt.

Nach den Feststellungen des AG - FamG - haben die Parteien während der gesetzlichen Ehezeit (1.4.1963 bis 31.8.1999; § 1587 Abs. 2 BGB) folgende Versorgungsanrechte erworben, jeweils monatlich und bezogen auf das Ende der Ehezeit: der Antragsteller bei der Bahnversicherungsanstalt (jetzt Deutsche Rentenversicherung Knappschaft - Bahn - See, fortan: DRV KBS; weitere Beteiligte zu 2)) gesetzliche Rentenanwartschaften i.H.v. 157,60 DM und bei dem Bundeseisenbahnvermögen (weitere Beteiligte zu 3)) Anrechte auf eine Beamtenversorgung i.H.v. 3.059,48 DM, die Antragsgegnerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund, fortan: DRV Bund; weitere Beteiligte zu 1)) Anwartschaften i.H.v. 185,77 DM.

Das AG - FamG - hat den Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass vom Versicherungskonto des Antragstellers bei der DRV KBS auf das Versicherungskonto der Antragsgegnerin bei der DRV Bund Rentenanwartschaften i.H.v. 1.515,66 DM (774,94 EUR), bezogen auf den 31.8.1999, übertragen werden sollten. Dem Begehren des Antragstellers, den Versorgungsausgleich nur beschränkt durchzuführen, hat es nicht entsprochen.

Auf die Beschwerde der DRV Bund, der DRV KBS und des Antragstellers hat das OLG die Entscheidung über den Versorgungsausgleich dahin abgeändert, dass zu Lasten der Versorgungsanwartschaften des Antragstellers bei dem Bundeseisenbahnvermögen auf dem Versicherungskonto der Antragsgegnerin bei der DRV Bund Rentenanwartschaften i.H.v. 872,67 DM (446,19 EUR), bezogen auf den 30.6.1992, begründet werden. Wegen der langen Trennungszeit der Parteien ist das OLG vom 30.6.1992 als fiktivem Ehezeitende ausgegangen und hat bei den weiteren Beteiligten zu 1)-3) entsprechende Auskünfte eingeholt. Danach hat der Antragsteller während der fiktiven Ehezeit (1.4.1963 bis 30.6.1992) bei der DRV KBS Anwartschaften auf eine Altersrente von 135,24 DM und bei dem Bundeseisenbahnvermögen Anwartschaften auf Beamtenversorgung i.H.v. 1.778,25 DM erworben, die Antragsgegnerin bei der DRV Bund monatliche gesetzliche Rentenanwartschaften i.H.v. 168,17 DM.

Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel eines ungekürzten Versorgungsausgleichs weiter.

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

1. Das OLG, das die Voraussetzungen des Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 EheRG zu Recht verneint hat, hat eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nach § 1587c Nr. 1 BGB für gerechtfertigt gehalten und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Die uneingeschränkte Durchführung des Wertausgleichs zugunsten der Antragsgegnerin führe wegen der langen Trennungszeit und unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Falles zu einem grob unbilligen Ergebnis. Das jüngste Kind der Parteien sei 1985 volljährig geworden. Der damals 51 Jahre alten Antragsgegnerin sei es noch möglich gewesen, innerhalb der dann noch 14 Jahre währenden Trennungszeit eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben und zumindest teilweise eine eigene Altersversorgung aufzubauen. Es sei unbillig, dem Antragsteller nun entgegenzuhalten, er habe über Jahre hinweg ohne hinreichenden Grund Trennungsunterhalt gezahlt, und ihm über diese wirtschaftliche Belastung hinaus auch noch die hälftige Kürzung seiner Versorgungsanwartschaften zuzumuten. Dem zwischenzeitlich pensionierten Antragsteller bliebe in diesem Fall nicht einmal der angemessene Selbstbehalt. Auch sei er entsprechend seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht in der Lage gewesen, den vollständigen eheangemessenen Bedarf der Antragsgegnerin sicherzustellen. Über diesen hätte die Antragsgegnerin nur aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit verfügen können. Da sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres des jüngsten Kindes zumindest eine Halbtagstätigkeit habe ausüben können, erscheine es angemessen, für den Versorgungsausgleich die Zeit von 1985 bis zur Zustellung des Scheidungsantrages nur zur Hälfte zu berücksichtigen, weshalb vom 30.6.1992 als fiktivem Ehezeitende auszugehen sei.

2. Diese Ausführungen des OLG halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig i.S.v. § 1587c Nr. 1 BGB erscheint, unterliegt zwar grundsätzlich der tatrichterlichen Beurteilung, die im Verfahren der weiteren Beschwerde nur darauf hin zu überprüfen ist, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.5.2005 - XII ZB 135/02, BGHReport 2005, 1187 = MDR 2005, 1294 = FamRZ 2005, 1238; Beschl. v. 5.9.2001 - XII ZB 56/98, BGHReport 2001, 963 = FPR 2002, 86; Beschl. v. 12.11.1986 - IVb ZB 67/85, FamRZ 1987, 362 [364]). Selbst auf der Grundlage dieser eingeschränkten Überprüfbarkeit kann der angefochtene Beschluss aber keinen Bestand haben.

a) Zu Recht geht das OLG allerdings im Ansatz davon aus, eine lange Trennungszeit der Parteien könne Anlass sein, den Ausschluss oder die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit zu überprüfen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1587c Nr. 1 BGB zu berücksichtigende Umstände könnten auch darin bestehen, dass eine Versorgungsgemeinschaft wegen ungewöhnlich kurzer Ehedauer nicht entstanden (BGH, Urt. v. 24.6.1981 - IVb ZR 513/80, FamRZ 1981, 944 [945]) oder durch lange Trennung der Ehegatten aufgehoben worden sei (BGH, Beschl. v. 15.2.1984 - IVb ZB 577/80, MDR 1984, 829 = FamRZ 1984, 467 [469 f.]; Beschl. v. 12.12.1984 - IVb ZB 928/80, MDR 1985, 829 = FamRZ 1985, 280 [281 f.]; Beschl. v. 28.10.1992 - XII ZB 42/91, MDR 1993, 147 = FamRZ 1993, 302 [303]; Beschl. v. 19.5.2004 - XII ZB 14/03, BGHReport 2004, 1281 = MDR 2004, 1185 = FamRZ 2004, 1181 [1182 f.]; Beschl. v. 28.9.2005 - XII ZB 177/00, BGHReport 2006, 97 = MDR 2006, 451 = FamRZ 2005, 2052 [2053]). In diesen Fällen fehlt dem Versorgungsausgleich die eigentlich rechtfertigende Grundlage, denn jede Ehe ist infolge der auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft schon während der Phase der Erwerbstätigkeit im Keim eine Versorgungsgemeinschaft, die der beiderseitigen Alterssicherung dienen soll (BGH, Beschl. v. 28.9.2005 - XII ZB 177/00, BGHReport 2006, 97 = MDR 2006, 451 = FamRZ 2005, 2052 [2053]; Beschl. v. 19.5.2004 - XII ZB 14/03, BGHReport 2004, 1281 = MDR 2004, 1185 = FamRZ 2004, 1181 [1182]; Beschl. v. 28.10.1992 - XII ZB 42/91, MDR 1993, 147 = FamRZ 1993, 302 [303]). Hat eine Versorgungsgemeinschaft wegen langer Trennungszeit nicht mehr bestanden, kann eine Korrektur des Versorgungsausgleichs deshalb unter Billigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt sein (h.M., vgl.: OLG Köln, Beschl. v. 10.7.2003 - 21 UF 251/02, veröffentlicht bei juris; OLG Brandenburg v. 2.5.2001 - 9 UF 237/98, OLGReport Brandenburg 2001, 449 = FamRZ 2002, 756 f.; v. 27.3.1997 - 10 UF 189/96, FamRZ 1998, 682 [683]; OLG Karlsruhe v. 22.12.2000 - 20 UF 103/00, FamRZ 2001, 1223; OLG Celle v. 25.7.2000 - 17 UF 88/00, FamRZ 2001, 163 [164]; OLG Hamm v. 20.1.1999 - 6 UF 180/98, OLGReport Hamm 1999, 245 = FamRZ 2000, 160 [161]; KG v. 23.7.1996 - 18 UF 532/96, KGReport Berlin 1996, 259 = FamRZ 1997, 31 f.; OLG Düsseldorf v. 28.5.1993 - 7 UF 77/92, FamRZ 1993, 1322 [1323 f.]; OLG München v. 31.7.1984 - 26 UF 1212/84, FamRZ 1985, 79 f.; Dörr in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1587c Rz. 30; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587c BGB Rz. 23; Staudinger/Rehme, BGB, 2003, § 1587c Rz. 44; Wick, Der Versorgungsausgleich, Rz. 255; a.A.: Erk/Deisenhofer, FamRZ 2003, 134 [136]).

b) Einer Beschränkung des Versorgungsausgleichs steht dabei nicht entgegen, dass § 1587 BGB den Wertausgleich grundsätzlich für die gesamte Ehezeit vorschreibt. Die Regelung beruht in erster Linie auf Zweckmäßigkeitserwägungen, insb. wollte der Gesetzgeber dem Ausgleichsverpflichteten die Möglichkeit nehmen, den Ausgleichsanspruch durch Trennung von dem Ehegatten zu manipulieren (BGH, Beschl. v. 19.5.2004 - XII ZB 14/03, BGHReport 2004, 1281 = MDR 2004, 1185 = FamRZ 2004, 1181 [1183]; BT-Drucks. 7/4361, 36). Allerdings erfordert § 1587c Nr. 1 BGB für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit, d.h. eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs muss unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen (BGH, Beschl. v. 25.5.2005 - XII ZB 135/02, BGHReport 2005, 1187 = MDR 2005, 1294 = FamRZ 2005, 1238 [1239]). Hierbei verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise. Die grobe Unbilligkeit muss sich vielmehr wegen des Ausnahmecharakters von § 1587c BGB im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben (BVerfG v. 20.5.2003 - 1 BvR 237/97, FamRZ 2003, 1173 [1174]; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587c Rz. 30; Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl., § 1587c Rz. 19 [25]).

c) Die Feststellungen des OLG rechtfertigen die Annahme einer groben Unbilligkeit nicht.

aa) Die Parteien lebten zwar bis zur Zustellung des Scheidungsantrages (14.9.1999) von insgesamt 36 Ehejahren ca. 17 Jahre - und damit nahezu die Hälfte der Ehezeit - voneinander getrennt. Zudem weist das OLG zu Recht darauf hin, bei längerem Getrenntleben bestehe auch für einen bislang ausschließlich den Haushalt führenden Ehegatten im Alter von 51 Jahren grundsätzlich noch eine Erwerbsobliegenheit (BGH, Urt. v. 15.11.1989 - IVb ZR 3/89, BGHZ 109, 211 ff. = MDR 1990, 320 = FamRZ 1990, 283 [286]), um seine Altersversorgung zumindest teilweise selbst aufzubauen. Der Antragsteller hat allerdings während der gesamten Trennungszeit freiwillig monatliche Unterhaltszahlungen geleistet, die das wesentliche Einkommen der Antragsgegnerin darstellten. Erstmals mit Anwaltsschriftsatz vom 27.10.1999, somit nach Zustellung des Scheidungsantrags, hat er die Antragsgegnerin darauf verwiesen, sie hätte zumindest seit der Volljährigkeit des jüngsten Sohnes einer Erwerbstätigkeit nachgehen und so eigene Versorgungsanrechte erwerben müssen. Mit den widerspruchslosen Zahlungen während der langen Trennungszeit hat der Antragsteller aber nicht nur unterhalts-rechtlich einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der den Zeitpunkt für eine Erwerbsobliegenheit der Antragsgegnerin hinausschiebt (vgl. OLG Köln v. 10.12.1998 - 14 WF 191/98, OLGReport Köln 1999, 127 = FamRZ 1999, 853; OLG Hamm v. 1.6.1995 - 4 UF 2/95, OLGReport Hamm 1995, 164 = FamRZ 1995, 1580; Eschenbruch/Mittendorf, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl., Rz. 6267; Erman/Heckelmann, BGB, 11. Aufl., § 1361 Rz. 23; FA-FamR/Gerhardt, 5. Aufl., 6. Kap. Rz. 260; Wendl/Staudigl/Pauling, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 4 Rz. 25; Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl., § 1361 BGB Rz. 26; Staudinger/Hübner, BGB, 2000, § 1361 Rz. 187; Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl., § 1361 Rz. 13; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rz. 391; vgl. für den nachehelichen Unterhalt: BGH, Urt. v. 31.1.1990 - XII ZR 36/89, MDR 1990, 625 = FamRZ 1990, 496 [498]). Er hat zugleich zu erkennen gegeben, die eheliche Solidarität nach der Trennung nicht vollkommen aufkündigen zu wollen, sondern die Antragsgegnerin an seinen in der Trennungszeit erworbenen Versorgungsanrechten teilhaben zu lassen. Entgegen der Auffassung des OLG ist es dabei unerheblich, dass der Antragsteller den vollständigen eheangemessenen Bedarf der Antragsgegnerin nicht sicherstellen konnte. Für die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauenstatbestandes ist vielmehr entscheidend, dass sich die Antragsgegnerin erkennbar auf die monatlichen Unterhaltsleistungen verließ, davon im Wesentlichen ihren Lebensunterhalt bestritt und gerade auch deswegen keine Notwendigkeit sah, sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bemühen. Seine Legitimation findet der ungekürzte Versorgungsausgleich letztlich in dem Umstand, dass sich die Parteien während der gesamten Trennungszeit wirtschaftlich nicht verselbständigt haben. Es ist deshalb nicht grob unbillig, sondern vielmehr geboten, die Antragsgegnerin an den vom Antragsteller erworbenen Anrechten auf Altersversorgung ungekürzt teilhaben zu lassen.

bb) Dass dem Antragsteller durch den Versorgungsausgleich nicht einmal der eigene angemessene Selbstbehalt verbleibt, wie das OLG meint, kann eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nicht rechtfertigen. Zwar darf der Versorgungsausgleich nicht zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu Lasten des Ausgleichspflichtigen führen. Unterhaltsrechtlich erhebliche Selbstbehaltgrenzen bestehen dabei indessen nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 29.4.1981 - IVb ZB 813/80, MDR 1981, 922 = FamRZ 1981, 756 [757]; Beschl. v. 16.12.1981 - IVb ZB 555/80, MDR 1982, 563 = FamRZ 1982, 258 [259]; Schwab/Hahne, Handbuch des Scheidungsrechts, 5. Aufl., Teil VI Rz. 283; Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl., § 1587c Rz. 21; Dörr in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1587c BGB Rz. 19). Eine durch den Versorgungsausgleich entstehende Bedürftigkeit des Verpflichteten kann bei der Billigkeitsabwägung nach § 1587c Nr. 1 BGB allenfalls dann relevant werden, wenn der Ausgleichsberechtigte bereits unter Berücksichtigung außerhalb der Ehezeit erworbener Anwartschaften oder seines sonstigen Vermögens über eine ausreichende Altersversorgung verfügt (vgl. BGH, Beschl. v. 29.4.1981 - IVb ZB 813/80, MDR 1981, 922 = FamRZ 1981, 756 [757 f.]; Beschl. v. 16.12.1981 - IVb ZB 555/80, MDR 1982, 563 = FamRZ 1982, 258 [259]; Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587c BGB Rz. 7). Entsprechende Umstände sind vorliegend aber weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

cc) Schließlich lässt sich dem ungekürzten Versorgungsausgleich nicht entgegengehalten, der Antragsteller habe andernfalls zur Vermeidung finanzieller Nachteile erst nach einer Verurteilung Trennungsunterhalt zahlen dürfen oder bald möglichst Scheidungsantrag stellen müssen, was dem aus Art. 6 GG folgenden Gebot der Eheerhaltung zuwiderlaufe (vgl. OLG Düsseldorf v. 28.5.1993 - 7 UF 77/92, FamRZ 1993, 1322 [1324]). Um das schutzwürdige Vertrauen der Antragsgegnerin zu erschüttern, wäre es nicht erforderlich gewesen, einen zeitnahen Scheidungsantrag zu stellen oder die Unterhaltszahlungen sofort einzustellen. Es hätte im Interesse einer wirtschaftlichen Verselbständigung und Entflechtung der Eheleute während der langen Trennungszeit genügt, auf eine Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin zu drängen.

dd) Im Übrigen würde es rechtlichen Bedenken begegnen, zur Kürzung des Ausgleichsanspruchs der Ehefrau nach § 1587c Nr. 1 BGB das Ehezeitende fiktiv auf den 30.6.1992 vorzuverlegen. Die Bewertung der in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechte ist immer auf das Ende der Ehezeit i.S.d. § 1587 Abs. 2 BGB vorzunehmen, an die das Gesetz die für die Berechnung der Anrechte maßgebenden rentenrechtlichen Faktoren knüpft (vgl. BGH, Beschl. v. 18.7.2001 - XII ZB 106/96, BGHReport 2001, 786 = FamRZ 2001, 1444 [1446]). Um einen bestimmten Teil der Ehezeit im Versorgungsausgleich nicht zu berücksichtigen, sind deshalb grundsätzlich die auf die auszuschließende (Trennungs-)Zeit entfallenden Anwartschaften auf das gesetzliche Ehezeitende bezogen zu ermitteln und von den auf die gesamte Ehezeit entfallenden Anwartschaften abzuziehen (Wick, Der Versorgungsausgleich, Rz. 255). Nicht zulässig ist es, stattdessen das Ende der Ehezeit vorzuverlegen.

3. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da die Einholung neuer Versorgungsauskünfte erforderlich ist. Die Höhe des für den Versorgungsausgleich maßgeblichen Ruhegeldes des bereits bei dem Bundeseisenbahnvermögen im Versorgungsbezug stehenden Antragstellers ist unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Versorgungsänderungsgesetzes vom 20.12.2001 (BGBl. I, 3926) zu ermitteln. Im Übrigen konnten die vom AG - FamG - für die gesamte Ehezeit (1.4.1963 bis 31.8.1999) eingeholten Auskünfte der DRV KBS vom 16.12.1999 und der DRV Bund vom 19.4.2000 die Änderungen der Rechtslage durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG vom 21.3.2001, BGBl. I, 403) nicht berücksichtigen. Die Sache war deshalb an das OLG zurückzuverweisen, damit der Versorgungsausgleich unter Zugrundelegung neuer Auskünfte der beteiligten Versorgungsträger geregelt werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1508446

NJW 2006, 1967

BGHR 2006, 855

EBE/BGH 2006, 158

FamRZ 2006, 769

FamRZ 2007, 427

FuR 2006, 379

FPR 2006, 452

FPR 2007, 154

MDR 2006, 1115

FamRB 2006, 203

RdW 2006, 402

ZFE 2006, 270

FK 2006, 213

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