Gesetzestext

 

Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die Vorschrift beruht, ebenso wie §§ 717 II, III, 302 IV 3, 600 II, 641g und 1065 II 2, auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel auf Gefahr des Gläubigers erfolgt (BGHZ 168, 352, 366 Rz 40 = NJW 06, 2767; BGH DB 12, 2396 Rz 8; BGH MDR 14, 1354 Rz 20; GRUR 16, 406 Rz 36 – Piadina-Rückruf; GRUR 16, 720 [BGH 19.11.2015 - I ZR 109/14] Rz 11 – Hot Sox; NJW 17, 1600 Rz 9; Schuschke/Walker/Walker Rz 3). Sie begründet zum Schutz des Schuldners einen materiell-rechtlichen, verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch (›dulde und liquidiere‹, BGHZ 120, 73, 82 = NJW 93, 1077). Im Hinblick auf den Normzweck darf die Schadensersatzpflicht aus § 945 nicht später einsetzen als die strafbewehrte Verbindlichkeit des Unterlassungsgebots für den Schuldner. Sobald dieser das Verbot beachten und im Fall einer Zuwiderhandlung mit der Verhängung von Ordnungsmitteln zu rechnen hat, muss er auch durch § 945 geschützt sein (vgl BGHZ 120, 73, 80 = NJW 93, 1077; 180, 72 Rz 16 = WM 09, 1622) Ob es sich bei der Schadensersatzpflicht aus § 945 um eine Gefährdungshaftung aus unerlaubter Handlung (BGHZ 85, 110, 113 = NJW 83, 232; NJW-RR 92, 998, 1001 – Roter mit Genever), Risikohaftung (BGH NJW 90, 2689, 2690; BGHZ 180, 72 Rz 16 = WM 09, 1622; BGH DB 12, 2396 Rz 8; BGH NJW 17, 1600 Rz 9), Haftung aus unerlaubter Handlung iwS (Zö/Vollkommer Rz 3) oder privatrechtliche Aufopferung (Baur S 110) handelt, ist streitig, aber ohne praktische Bedeutung (Musielak/Voit/Huber Rz 1; Teplitzky/Schwippert Kap 36 Rz 4).

B. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

§ 945 gilt nicht nur für rein zivilprozessuale Anordnungen des einstweiligen Rechtsschutzes einschließlich des presserechtlichen Gegendarstellungsrechts (BGHZ 62, 7, 9 = NJW 74, 642), sondern ist auch auf einstweilige Anordnungen in FamFG-Streitsachen nach § 112 Nr 2 und Nr 3 gem § 119 I 2 FamFG entspr anwendbar, nicht aber für einstweilige Anordnungen in Unterhaltssachen (§ 119 I 2; MüKoZPO/Drescher Rz 32). Für in FamFG-Streitsachen angeordnete Arreste gilt gem § 119 II 2 FamFG § 945 gleichfalls in entsprechender Anwendung. Ferner ist § 945 auf einstweilige Anordnungen im echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (etwa Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht (BGHZ 111, 148, 153 = NJW 90, 2386; 120, 261, 263 = NJW 93, 593 jeweils zum früheren WEG-Verfahren; MüKoZPO/Drescher Rz 32), auf einstweilige Anordnungen nach § 123 VwGO (BGHZ 120, 73, 83 = NJW 93, 1077) und auf dingliche Arreste nach § 324 AO (vgl BGHZ 63, 277 = NJW 75, 540; MüKoZPO/Drescher Rz 34) entsprechend anwendbar. Auf die Vollziehung (unrichtiger) Steuerbescheide ist § 945 dagegen nicht anwendbar (BGH DB 12, 2396 Rz 8). Dies gilt auch dann, wenn dem Erlass der Steuerbescheide ein Arrestverfahren vorausgegangen ist, das zur Pfändung einer Forderung geführt hat. Denn mit Erlass der Steuerbescheide wird das Arrestverfahren in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet und als solches fortgesetzt mit der Folge, dass das Arrestpfandrecht sich in ein (rangwahrendes) Pfändungspfandrecht umwandelt (BGH DB 12, 2396 Rz 5 ff; vgl ferner BFH NV 87, 702; 01, 458; Gaul JZ 13, 760). Ebenso findet § 945 auf den dinglichen Arrest nach § 111d StPO aF weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung (BGH BeckRS 18, 26430 Rz 32).

C. Haftungsvoraussetzung bei von Anfang an ungerechtfertigter Anordnung (Alt 1).

I. Beurteilungsmaßstäbe.

 

Rn 3

Von Anfang an ungerechtfertigt ist die Anordnung einer einstweiligen Rechtschutzmaßnahme, wenn sie bei richtiger Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht hätte erlassen werden dürfen, weil die Voraussetzungen für ihren Erlass im Zeitpunkt der Anordnung objektiv nicht vorlagen (BGH NJW 88, 3268, 3269). Im Hinblick auf den Charakter der Schadensersatzhaftung als Risikohaftung, ist ein Vertrauen auf den Fortbestand der Rspr nicht ausschlaggebend (BGHZ 54, 76, 81 = NJW 70, 1459; BGH Beschl v 22.10.09 – IX ZR 165/07 Rz 3; MüKoZPO/Drescher Rz 3, 9; St/J/Grunsky, Rz 19; Wieczorek/Schütze/Thümmel, Rz 9; Schuschke/Walker/Walker Rz 7; Schilken 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III 593, 604). Eine geänderte Rspr darf im Schadensersatzprozess nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn bereits ein rechtskräftiges Urt in der Hauptsache vorliegt (BGH Beschl v 22.10.09 – IX ZR 165/07 Rz 3; MüKoZPO/Drescher Rz 14; Schuschke/Walker/Walker Rz 19; Ahrens FS Piper, 1996, 31, 34; Gehrlein MDR 00, 687). Die Rechtslage ist mithin nicht an Hand der zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Rechtsschutzmaßnahme geltenden höchstrichterlichen Rspr zu beurteilen. Die vorstehenden Grundsä...

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