Gesetzestext

 

(1) Bei dem Nießbrauch an einem Vermögen ist wegen der vor der Bestellung des Nießbrauchs entstandenen Verbindlichkeiten des Bestellers die Zwangsvollstreckung in die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände ohne Rücksicht auf den Nießbrauch zulässig, wenn der Besteller zu der Leistung und der Nießbraucher zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt ist.

(2) Das Gleiche gilt bei dem Nießbrauch an einer Erbschaft für die Nachlassverbindlichkeiten.

A. Ratio.

 

Rn 1

Die Vorschrift übersetzt § 1086 S 1 BGB in das Zwangsvollstreckungsrecht (BGH NJW 03, 2164, 2165 [BGH 14.03.2003 - IXa ZB 45/03]). Nach dieser Regelung des bürgerlichen Rechts hat der Gläubiger einer Person, die einen Nießbrauch an ihrem gesamten Vermögen nach § 1085 BGB bestellt hat, einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung gegen den Nießbraucher, sofern der Entstehungszeitpunkt seiner Forderungen vor dem der Bestellung des beschränkten dinglichen Rechts liegt. Sobald für den Anspruch ein Duldungstitel erstritten wurde, überwindet dieser nach § 737 diejenigen vollstreckungsrechtlichen Hindernisse, die sich aus dem Gewahrsam des Nießbrauchers nach §§ 1036 BGB, 809 und dessen dinglichem Recht als ein die Veräußerung hinderndes Recht iSv § 771 ergeben. Abs 2 stellt dem Nießbrauch an einem Vermögen den Nießbrauch an einer Erbschaft für die Nachlassverbindlichkeiten nach § 1089 BGB gleich.

B. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Sachlich ist § 737 unmittelbar einschlägig bei Urteilen nach § 704 I und kraft gesetzlicher Inbezugnahme über § 795 auf alle anderen Titel der ZPO, § 794 I. Nach § 794 II kann der Nießbraucher den Titel gegen sich auch durch notarielle Urkunde iSd § 794 I Nr 5 freiwillig schaffen. Analog ist § 737 heranzuziehen bei der Belastung aller Erbteile durch sämtliche Miterben zugunsten einer Person (Musielak/Lackmann § 737 Rz 1). Für die Bestellung eines Nießbrauchs nach Eintritt der Rechtskraft gilt § 738. Die §§ 1086 BGB, 737 kommen für den Gläubiger des Nießbrauchsbestellers auch dann zur Anwendung, wenn der Besteller ausnahmsweise nicht der Eigentümer ist. Der Nießbraucher kann sich mithin ggü dem Gläubiger des Bestellers nicht darauf berufen, der Gegenstand gehöre einem Dritten. Der wahre Eigentümer kann jedoch der Zwangsvollstreckung nach § 771 widersprechen.

C. Tatbestand.

I. Materieller.

 

Rn 3

In materieller Hinsicht setzt § 737 einen Nießbrauch voraus, der am ganzen Vermögen des Schuldners besteht. Der Nießbrauch an Sachen oder einzelnen Rechten ist davon ebenso wenig umfasst wie der Nießbrauch an einzelnen Vermögensteilen, solange diese nicht miteinander das gesamte Vermögen ausmachen (s Rn 2, für die Belastung der Erbteile durch alle Miterben; MüKoZPO/Heßler § 737 Rz 2). Auch gehören zu den Gegenständen, die dem Nießbrauch unterliegen, nicht die dem Nießbraucher zustehenden Erzeugnisse und sonstige Bestandteile, insb Früchte nach § 99 BGB, auch mittelbare rechtliche nach § 99 III BGB (zB Miet- oder Pachtzinsforderungen), die in sein Eigentum fallen (RGZ 138, 69, 71 f; St/J/Münzberg § 737 Rz 5). An die Stelle von verbrauchbaren Sachen nach § 92 BGB, die ebenfalls in das Eigentum des Nießbrauchers übergehen, tritt der Wertersatzanspruch nach § 1086 S 2 BGB. Ihn kann der Gläubiger pfänden lassen (Zö/Seibel § 737 Rz 6). Der Nießbrauch an einem Vermögen wird durch einzelne dingliche Verschaffungsakte an jedem zum Vermögen gehörenden Gegenstand bestellt, § 1085 S 1 BGB, wobei nach hM bereits die Nießbrauchsbestellung am ersten Vermögensgegenstand die Wirkungen der §§ 1086 ff BGB auslöst, wenn sie in der Absicht vorgenommen wird, später noch das ganze Vermögen zu belasten (PWW/Ahrens § 1086 BGB Rz 1 ff). Es genügt, wenn in diesem Zeitpunkt der Rechtsgrund des Anspruchs des Gläubigers des Bestellers gelegt worden ist, die Forderung kann, etwa wenn sie bedingt oder befristet ist, durchaus erst später entstehen oder fällig werden (Zö/Seibel § 737 Rz 9).

II. Formeller (einschließlich Rechtsbehelfe).

 

Rn 4

In formeller Hinsicht verlangt § 737 sowohl einen Leistungstitel gegen den Besteller als auch einen Duldungstitel gegen den Nießbraucher (s Rn 1). Nur beide gemeinsam berechtigen zur Vollstreckung in die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände (Schuschke/Walker/Schuschke § 737 Rz 5). Dabei ist der Nießbraucher selbst Vollstreckungsschuldner. Allein aufgrund des Leistungstitels gegen den Besteller kann nicht in den Nießbrauch vollstreckt werden (BGH NJW 03, 2164, 2165 [BGH 14.03.2003 - IXa ZB 45/03]; wohl aber bei einer persönlichen Schuld nach § 1088 BGB in das Privatvermögen des Nießbrauchers). Geschieht dies dennoch, kann der Nießbraucher dem nach § 809 widersprechen, wenn er Gewahrsam hat, sonst aber mit der Erinnerung nach § 766 vorgehen (Musielak/Lackmann § 737 Rz 6). Ebenso wenig genügt allein der Duldungstitel gegen den Nießbraucher, weil hieraus nur in dessen Privatvermögen vollstreckt werden könnte. Sein die Zwangsvollstreckung hinderndes materielles Recht kann der Nießbraucher mit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 geltend machen. Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn Nießbraucher und Eigentümer nicht personeniden...

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