Gesetzestext

 

(1) Die vorläufige Vollstreckbarkeit tritt mit der Verkündung eines Urteils, das die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Abänderung ergeht.

(2) 1Wird ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert, so ist der Kläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. 2Der Beklagte kann den Anspruch auf Schadensersatz in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen; wird der Anspruch geltend gemacht, so ist er als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen.

(3) 1Die Vorschriften des Absatzes 2 sind auf die im § 708 Nr. 10 bezeichneten Berufungsurteile, mit Ausnahme der Versäumnisurteile, nicht anzuwenden. 2Soweit ein solches Urteil aufgehoben oder abgeändert wird, ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem auf Grund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen. 3Die Erstattungspflicht des Klägers bestimmt sich nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. 4Wird der Antrag gestellt, so ist der Anspruch auf Erstattung als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen; die mit der Rechtshängigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts verbundenen Wirkungen treten mit der Zahlung oder Leistung auch dann ein, wenn der Antrag nicht gestellt wird.

A. Ratio.

 

Rn 1

§ 717 schafft den rechtlichen Ausgleich dafür, dass der Gläubiger mit dem Eintritt der vorläufigen Vollstreckbarkeit seines Titels in das Vermögen des Schuldners vollstrecken darf, ohne dass bereits rechtskräftig feststeht, ob dieser Zugriff materiell berechtigt ist. Die definitive Erkenntnis hierüber steht erst am Ende des Rechtsmittelverfahrens. Das Risiko, dass die vorläufig vollstreckbare Entscheidung später aufgehoben oder abgeändert wird, nimmt das Gesetz hin, weil der Gläubiger bereits einen rechtsgültigen und vollstreckbaren Titel für seine materiell-rechtliche Forderung erstritten hat. Dem Schuldner wird grds angesonnen, den Vollstreckungszugriff über sich ergehen zu lassen. Denn solange die vorläufige Vollstreckbarkeit andauert, ist dieser rechtmäßig (BGHZ 85, 110, 113 = NJW 83, 232). Kompensiert wird dieser klare vollstreckungsrechtliche Vorteil des Gläubigers ggü dem Schuldner durch die Regelung des § 717 in mehrfacher Hinsicht.

 

Rn 2

Auf der Primärebene endet die vorläufige Vollstreckbarkeit des Titels bereits dann, wenn eine den Titel abändernde oder aufhebende Entscheidung ergeht, nicht erst, wenn diese Entscheidung rechtskräftig wird. Auf der Sekundärebene wird der Schuldner mit eben dieser Aufhebung oder Abänderung Gläubiger eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs nach § 717 II, III. Auch dieser hat eine besondere, für den Schuldner günstige Rechtsnatur. Er ist nämlich ähnl einem Schadensersatzanspruch aus Gefährdungshaftung ausgestaltet, setzt also weder ein rechtswidriges noch ein schuldhaftes Verhalten des Gläubigers voraus und begründet damit in dessen Person einen Risikohaftungstatbestand (s Rn 5). Auch Abs 3 gibt dem Schuldner einen Ersatzanspruch, jedoch nicht auf Schadensersatz, sondern aus ungerechtfertigter Bereicherung (Rechtsfolgenverweisung auf §§ 818 ff BGB). Der mildere bereicherungsrechtliche Haftungsmaßstab, der für den Gläubiger gilt, entspricht dessen qualifiziertem Vertrauen in die Richtigkeit von Berufungs- oder Revisionsentscheidungen, das höher zu bewerten ist als bei einem erstinstanzlichen Urt (BGHZ 69, 373, 378 = NJW 78, 163; krit Hau NJW 05, 712; Piekenbrock JR 05, 446).

B. Beendigung der vorläufigen Vollstreckbarkeit (Abs 1).

I. Allgemeine Wirkung.

 

Rn 3

Ein Außerkrafttreten der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils (oder Vollstreckungsbescheids nach § 700) ordnet Abs 1 im Zeitpunkt der Verkündung eines Urteils an, das die Entscheidung der Vorinstanz im Rechtsmittel-, Rüge (§ 321a) oder Einspruchsverfahren in der Hauptsache oder in der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 718 aufhebt oder abändert. Die Wirkungslosigkeit eines Urteils in Folge einer Erledigungserklärung steht der Aufhebung iSv § 717 I nicht gleich (BGH NJW 88, 1268). Die vorläufige Vollstreckbarkeit endet in diesem Fall kraft Gesetzes, im Fall der Abänderung nur in deren Umfang und ohne Rücksicht auf deren Grund (Ddorf NJW 74, 1714). Die aufhebende oder abändernde Entscheidung muss daher nicht ausdrücklich für vorläufig vollstreckbar erklärt werden; allerdings ist das zweckmäßig, weil die Wirkungen der §§ 775, 776 sonst erst mit der Rechtskraft des Urteils eintreten. Außerkrafttreten der vorläufigen Vollstreckbarkeit bedeutet, dass die Vollstreckung ab der Verkündung des Urteils unzulässig wird und ihre Fortsetzung eine unerlaubte Handlung darstellen würde. Wurde vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet, ist nach §§ 775, 776 zu verfahren. Wird ein Berufungsurteil, durch das ein erstinstanzliches Urt aufgehoben worden ist, in der Revisionsi...

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