Gesetzestext

 

Kann der Gläubiger die Sicherheit nach § 709 nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten, so ist das Urteil auf Antrag auch ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn die Aussetzung der Vollstreckung dem Gläubiger einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde oder aus einem sonstigen Grund für den Gläubiger unbillig wäre, insbesondere weil er die Leistung für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt.

A. Ratio.

 

Rn 1

§ 710 ermöglicht einem Gläubiger, der nach § 709 zur Vollstreckung Sicherheit leisten müsste, dem aber die ökonomischen Mittel für die Leistung einer Sicherheit fehlen, die Zwangsvollstreckung dennoch zu betreiben, nämlich ausnahmsweise ohne Sicherheitsleistung. Gleichzeitig sorgt das Gesetz insoweit für einen Ausgleich mit den Interessen des Schuldners, als dem Gläubiger die Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung nur unter engen tatbestandlichen Voraussetzungen (schwer zu ersetzender oder schwer abzusehender Nachteil durch die Aussetzung oder ähnl gravierende Gründe) gestattet wird. Die Vorschrift enthält daher Billigkeitsrecht. Eine ähnliche Schutzvorschrift kennt § 711 S 3 für Urteile nach §§ 708 Nrn 4–11, 711. Werden Kosten vor Rechtskraft vollstreckt, ist § 711 ggü §§ 110 ff ZPO lex specialis (Hambg MDR 10, 345 [KG Berlin 06.08.2009 - 12 U 187/08]).

B. Tatbestand.

 

Rn 2

Verfahrensrechtliche Voraussetzung des § 710 ist ein entsprechender Antrag, der vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 714 I gestellt und dessen materielle Voraussetzungen glaubhaft gemacht werden müssen. In subjektiver Hinsicht ist die Unbilligkeit einer Vollstreckungsvoraussetzung erforderlich, objektiv das Vorliegen eines Leistungshindernisses (München 9.9.11, 10 U 2492/11, Rz 22). Ein solches ist etwa anzunehmen, wenn der Schuldner zur Leistung der Sicherheit außerstande ist, oder doch erhebliche Schwierigkeiten hat, die Mittel dafür auf- oder einen Bürgen beizubringen. Eine solche Situation liegt insb in den beiden Regelbeispielen des Gesetzes vor. So darf die Aussetzung der Zwangsvollstreckung keinen schwer zu ersetzenden oder schwer absehbaren Nachteil zur Folge haben. Schwer zu ersetzen ist ein Nachteil, wenn ein Aufschub der Zwangsvollstreckung diese tatsächlich aussichtslos werden ließe oder ihr Erfolg doch erheblich gefährdet erschiene, zB weil der Schuldner in Vermögensverfall gerät oder sich der Vollstreckung entzieht. Schwer absehbar ist ein Nachteil, wenn eine spätere Anspruchsrealisierung aller Voraussicht nach auf erhebliche Probleme stoßen würde wie etwa bei Folgeschäden nicht vermögensrechtlicher Art.

 

Rn 3

Ein sonstiger Grund iSv § 710 liegt vor, wenn der Schuldner die nach der Antragstellung fälligen Beträge, die er für die Sicherheitsleistung aufwenden müsste, für den eigenen Lebensunterhalt oder berufliche Tätigkeit benötigt, wovon bei Unterhaltsleistungen ausgegangen werden kann (Frankf FamRZ 87, 174). Der ökonomische Handlungsspielraum und der Kredit dürfen dem Schuldner nicht genommen werden. Auch eine sonstige, nicht zwingend vermögensrechtliche Schmälerung der Lebensverhältnisse hat er bei Unzumutbarkeit nicht hinzunehmen. Angeführt werden insoweit der Verzicht auf das eigene Auto, die Renovierung der Wohnung oder den anstehenden Urlaub (St/J/Münzberg § 710 Rz 2). Die Unbilligkeit der Sicherheitsleistung in der konkreten Situation des Einzelfalls ist neben dem wirtschaftlichen Unvermögen zur Mittelbeschaffung oder den sonstigen Gründen das zweite kumulative Tatbestandsmerkmal des § 710. Entscheidend ist dafür stets eine Gesamtbeurteilung (Zö/Herget § 710 Rz 2).

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