Gesetzestext

 

Der Kläger kann, ohne dass es der Einwilligung des Beklagten bedarf, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung von dem Urkundenprozess in der Weise abstehen, dass der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren anhängig bleibt.

A. Bedeutung.

 

Rn 1

§ 596 erlaubt es dem Kl, der sich zunächst für den Urkundenprozess entschieden hat, durch einseitige Abstandnahme risikolos in das ordentliche Verfahren überzuwechseln. Dem Bekl geschieht dadurch insofern kein Nachteil, als der Prozess im ordentlichen Verfahren anhängig bleibt.

B. Abstandnahme.

I. Erklärung.

 

Rn 2

Die Abstandnahme vom Urkundenprozess kann in der mündlichen Verhandlung oder, da keine Form vorgeschrieben ist, auch schriftsätzlich erklärt werden (Naumbg NZM 99, 1007 [OLG Naumburg 31.05.1999 - 9 W 1/99]; MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 3; Zö/Greger § 596 Rz 1; aA Köln VersR 93, 901, 902). Die Erklärung muss nicht ausdrücklich erfolgen, aber doch eindeutig sein. Allein das Angebot im Urkundenprozess unzulässiger Beweise stellt noch keine hinreichend klare konkludente Abstandnahme dar (BGH WM 79, 803), und auch die widerspruchslose Hinnahme einer im Urkundenprozess unzulässigen Beweisaufnahme kann auf Rechtsunkenntnis oder einem Irrtum beruhen und ist daher nicht unbedingt eindeutig (MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Olzen § 596 Rz 3; St/J/Berger § 596 Rz 3); das Gericht hat nach § 139 I auf eine Klarstellung hinzuwirken. Die Erklärung muss unbedingt sein. Eine hilfsweise Abstandnahme vom Urkundenprozess ist nicht möglich (BGHZ 82, 200, 207 f; München BauR 13, 1317).

II. Teilabstandnahme.

 

Rn 3

Die Abstandnahme kann auf einen selbstständigen Teil des Anspruchs beschränkt werden; eine vorherige Trennung der Verfahren ist dazu nicht erforderlich (BGH NJW 03, 2386; Musielak/Voit § 596 Rz 4; aA Karlsr OLGR 98, 94; Zö/Greger § 596 Rz 2). Die tw Abstandnahme führt aber automatisch zu einer Verfahrenstrennung (MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 8; Wieczorek/Schütze/Olzen § 596 Rz 7); einer Prozesstrennung durch das Gericht analog § 145 bedarf es also nicht (aA St/J/Berger § 596 Rz 13; Musielak/Voit § 596 Rz 4; wohl auch BGH NJW 03, 2386 [BGH 03.04.2003 - IX ZR 113/02]).

III. Einwilligung.

 

Rn 4

Die Einwilligung des Bekl ist für die Abstandnahme in 1. Instanz nicht erforderlich (zur Rechtsmittelinstanz s Rn 5). Daran ändert sich nichts, wenn bereits ein Versäumnisurteil gegen den Bekl ergangen ist, gegen das er Einspruch eingelegt hat (Musielak/Voit § 596 Rz 6; Zö/Greger § 596 Rz 3; aA MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 6).

IV. Rechtsmittelinstanz.

1. Berufungsinstanz.

 

Rn 5

Für das bis zur ZPO-Reform 2002 geltende Recht war eine Abstandnahme vom Urkundenprozess nach der stRspr zwar auch in der Berufungsinstanz zulässig, aber nur unter den Voraussetzungen für eine Klageänderung gem § 263 (BGHZ 29, 337, 339 f; NJW 03, 2231, 2233). Die umstrittene Frage, ob dies auch für das neue Recht gilt (dazu 3. Aufl Rz 5), hat der BGH bejaht (BGHZ 189, 182 Rz 17 ff mvN; NJW 12, 2662 Rz 11 ff). Danach muss der Bekl in das Abstehen vom Urkundenprozess einwilligen oder das Gericht es für sachdienlich erachten (zur Sachdienlichkeit BGH NJW 20, 2407 Rz 14 ff). Ob zusätzlich die Voraussetzungen des § 533 Nr 2 erfüllt sein müssen, hat der BGH (BGHZ 189, 182 Rz 34 f; NJW 20, 2407 [BGH 02.04.2020 - IX ZR 135/19] Rz 26) dahinstehen lassen. Schon weil es an einer 1. Instanz in Wahrheit fehlt, sollte es darauf freilich nicht ankommen können. Ob die Abstandnahme durch den Kl als Berufungsbekl eine Anschlussberufung voraussetzt (so Celle MDR 15, 671), erscheint zw; jedenfalls steht ihr der Ablauf der Frist (§ 524 II 2) nicht entgegen (Celle MDR 15, 671).

2. Revisionsinstanz.

 

Rn 6

In der Revisionsinstanz, in der neuer Sachvortrag ausgeschlossen ist, kommt eine Abstandnahme auf der Grundlage der hM (keine Zurückverweisung des ordentlichen Verfahrens an die 1. Instanz) nicht in Betracht (MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 5).

V. Wechsel- und Scheckprozess.

 

Rn 7

Im Wechsel- und Scheckprozess ist analog § 596 auch der Übergang in den Urkundenprozess möglich (BGHZ 53, 11, 17; 82, 200, 207). Insoweit kommt es im Berufungsverfahren auch nach der Rspr auf die Voraussetzungen für eine Klageänderung nicht an (BGH NJW 93, 3135, 3136). Der Kl kann den Anspruch aber nicht primär im Wechselprozess und hilfsweise im gewöhnlichen Urkundenprozess (etwa unter Umdeutung des Wechsels in ein abstraktes Schuldversprechen) verfolgen (BGHZ 53, 11, 17; 82, 200, 207 f; MüKoZPO/Braun/Heiß § 596 Rz 7; aA Steckler/Künzl WM 84, 861, 862).

C. Weiteres Verfahren.

 

Rn 8

Der Rechtsstreit bleibt nach der Abstandnahme unter Fortdauer der Rechtshängigkeit im ordentlichen Verfahren anhängig. Ein noch in erster Instanz anhängiges Nachverfahren wird bei zweitinstanzlicher Abstandnahme gegenstandslos (BGH NJW 20, 2407 [BGH 02.04.2020 - IX ZR 135/19] Rz 17). Die bisherigen prozessualen Geschehnisse (Geständnis, Heilung, Beweisaufnahme, Zurückweisung von Vorbringen etc) bleiben wirksam. Aufrechnung und Widerklage sind bei Übergang in das ordentliche Verfahren in 2. Instanz (vgl Rn 5) in aller Regel sachdienlich (BGH NJW 00, 143, 144), § 533 Nr 2 dürfte nicht zur Anwendung kommen (vgl Rn 5 und Musielak/Voit § 596 Rz 9).

 

Rn 9

Nach der Abstandnahme kann grds sofort...

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