Gesetzestext

 

(1) Die Nichtigkeitsklage findet statt:

1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.

(2) In den Fällen der Nummern 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte.

A. Normzweck und dogmatische Einordnung.

 

Rn 1

Die Norm bezweckt, dass Verfahren, die schwerste prozessuale Mängel aufweisen, trotz rechtskräftigem Abschluss neu verhandelt und entschieden werden können. Dadurch kann die bisher unterbliebene Prüfung eines solchen Verfahrensmangels nachgeholt werden (Leipold ZZP 81, 71). Die enumerativen Nichtigkeitsgründe des § 579 beziehen sich zum einen auf die Verletzung des Grundrechts auf den unparteiischen unabhängigen gesetzlichen Richter (Nr 1–3) und zum anderen auf den Schutz und das rechtliche Gehör nicht wirksam vertretener und damit im Prozess handlungsunfähiger Parteien (Nr 4).

 

Rn 2

Wie die andere Art der Wiederaufnahme, die Restitutionsklage nach § 580, beseitigt die Nichtigkeitsklage die Sperrwirkung der Rechtskraft des Urteils (s vor §§ 578 ff Rn 1). Mit dieser gleich steht sie zudem insofern, als die schweren Verfahrensmängel, die durch § 579 sanktioniert werden, ebenso wie die evidente Fehlerhaftigkeit des Urteils, die § 580 aufgreift, eine Erschütterung der Urteilsgrundlagen darstellen und das Ansehen des Staates und das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen (Gaul FS Kralik, 157, 160 mwN; ders FS Matsumoto, 715, 738; vgl auch BGHZ 172, 250, 252 sub II 2b). Dabei spielt es – im Unterschied zu § 580 – bei § 579 keine Rolle, ob der Wiederaufnahmegrund ursächlich für das angegriffene Urt war, was die elementare Bedeutung der von den Nichtigkeitsgründen sanktionierten prozessualen Vorgaben bezeichnet.

B. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen.

I. Zulässigkeit und Begründetheit der Nichtigkeitsklage.

 

Rn 3

Im Rahmen der dreistufigen Prüfung bei der Wiederaufnahme (s vor §§ 578 ff Rn 3) weist § 579 I auf die Zulässigkeitsvoraussetzung der schlüssigen Behauptung des Nichtigkeitsgrundes hin. § 579 II regelt die Zulässigkeitsvoraussetzung der Subsidiarität der Nichtigkeitsklage ggü der Einlegung von Rechtsmitteln, was eine Frage der Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage ist. Begründet ist die Nichtigkeitsklage, wenn ein solcher Verfahrensverstoß tatsächlich vorliegt, so dass es zur Neuverhandlung kommt.

II. Nichtigkeitsgründe.

 

Rn 4

Die Nichtigkeitsgründe entsprechen den in § 547 Nrn 1 bis 4 geregelten absoluten Revisionsgründen (BGH MDR 17, 538 [BGH 22.12.2016 - IX ZR 259/15]), bei denen eine Kausalität des Verfahrensmangels für das angegriffene Urt unwiderleglich vermutet wird. Anders als die Revision gestattet die Nichtigkeitsklage aber keine Nachprüfung der Richtigkeit im Vorprozess bereits getroffener Feststellungen und ist insofern keine Wiederholung von Rechtsmitteln (Gaul FS Kralik, 157, 159; ders FS Matsumoto, 715, 738 f; Musielak/Voit/Musielak § 579 Rz 10). Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass eine Nichtigkeitsklage ausscheidet, wenn etwas im Vorprozess geprüft und – wenn auch zu Unrecht – festgestellt worden ist (zuletzt BGH NJW-RR 08, 448 [BGH 27.09.2007 - V ZB 196/06]; MüKoZPO/Braun/Heiß § 579 Rz 19; Musielak/Voit/Musielak § 579 Rz 10), so dass sie prinzipiell – auch im Falle von Nr 2 und Nr 4 (s noch Rn 7, 10, 19) – nur dann möglich ist, wenn der Nichtigkeitsgrund im Vorprozess übersehen wurde (Gaul FS Kralik, 157, 158–168 mwN; ders FS Matsumoto, 715, 738 f mwN). Auf die Kommentierung zu § 547, zu §§ 41, 42, sowie zu §§ 21a ff GVG kann aber im Hinblick auf das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes ansonsten verwiesen werden. Im Einzelnen ergibt sich spezifisch für das Wiederaufnahmerecht Folgendes:

1. Nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (Nr 1).

 

Rn 5

Die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter, Art 101 I 2 GG, gewährleistet wurde.

Der Richter muss im Vorhinein durch normative, abstrakt-generelle Bestimmung ermittelt werden können; seiner Bestimmung darf keine Ermessensentscheidung zu Grunde liegen, durch die etwa für einzelne Geschäfte bestimmte Richter ausgesucht oder die Verfahren ansonsten nicht nach allgemeinen Merkmalen zugeteilt werden (etwa BVerfG NJW 05, 2689 [BVerfG 16.02.2005 - 2 BvR 581/03]; BAGE 102, 242). Das Mittel zur Gewährleistung der Garantie des gesetzlichen Richters ist auch und va die Geschäftsverteilung, die durch das Gerichtsverfassungsrecht als innergerichtlicher Organisationsakt ausgestaltet wurde, und sowohl die gerichtsinterne Geschäftsverteilung als auch die spruchkörperinterne Geschäftsverteilung in einem Ges...

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