Gesetzestext

 

Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegen den §§ 520 und 521 Abs. 2 nicht rechtzeitig vorgebracht, so gilt § 296 Abs. 1 und 4 entsprechend.

A. Systematik, Zweck, Anwendungsbereich.

 

Rn 1

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die unentschuldigt nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist, Berufungserwiderungsfrist oder einer vom Gericht gesetzten Frist zur Replik vorgebracht werden, sind sie für die Entscheidung unberücksichtigt zu lassen, wenn sie die Erledigung des Verfahrens verzögern würden. Damit sollen die Parteien veranlasst werden, in 2. Instanz frühzeitig und zusammenhängend vorzutragen. Die Norm dient damit der Konzentration und Beschleunigung des Berufungsverfahrens (§ 296 Rn 1).

 

Rn 2

§ 530 ist Teil des umfassenden Präklusionsrechts (›Novenrecht‹) 2. Instanz. Bereits erstinstanzlich zu Recht zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel bleiben ausgeschlossen (§ 531 I), verzichtbare Zulässigkeitsrügen, die schon in 1. Instanz hätten vorgebracht werden können, sind nur bei genügender Entschuldigung (§ 532), neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur unter den Voraussetzungen des § 531 II zuzulassen. Für neue Klageänderungen, Aufrechnungserklärungen oder Widerklagen enthält § 533 weitere Voraussetzungen. § 530 übernimmt für eine zweitinstanzliche Verletzung der Prozessförderungspflicht durch Versäumung der Berufungsbegründungs- und Berufungserwiderungsfrist die erstinstanzliche Regelung über Fristversäumungen (§ 296 I, IV). Daneben bleibt § 525 iVm § 296 II, IV unmittelbar anwendbar auf die zweitinstanzliche Versäumung einer nach § 273 II gesetzten Frist und die Verletzung der allgemeinen Prozessförderungspflicht aus §§ 525, 282. Die damit verbundene erhebliche Beeinträchtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 I GG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BGH MDR 05, 706; BVerfG NJW 83, 2187).

 

Rn 3

Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahrens tritt an ihre Stelle der weitgehend inhaltsgleiche (LAG Berlin NZA 98, 168 [LAG Berlin 14.07.1997 - 9 Sa 52/97]) § 67 II ArbGG. In dem dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegenden Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt findet § 530 keine Anwendung (BPatG Beschl v 14.2.18 – 19 W [pat] 15/17).

B. Verspätete Angriff- und Verteidigungsmittel.

 

Rn 4

Die Verweisung des § 530 auf § 296 I, IV erfolgt nicht bloß auf die dort genannte Rechtsfolge, sondern auch auf die Voraussetzungen. Erforderlich für eine Präklusion ist damit nicht nur, dass Angriffs- und Verteidigungsmittel nach Ablauf der in § 530 genannten Frist vorgebracht wurden, sondern auch, dass dies nicht genügend entschuldigt wurde und dass die Zulassung des Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

I. Angriffs- und Verteidigungsmittel.

 

Rn 5

Angriffs- und Verteidigungsmittel umfassen das tatsächliche Vorbringen der Parteien zur Begründung des Sachantrags oder zur Verteidigung gegen ihn. Hierunter fallen insb das Behaupten, Bestreiten oder Beweisen von Tatsachen und der Vortrag von materiellen oder prozessualen Einwendungen und Einreden (BGH NJW 04, 2828 [BGH 08.06.2004 - VI ZR 230/03]). Hierher gehören Beweisantritte stets, Beweiseinreden dann, wenn sie über die bloße Würdigung hinausgehen und auf besondere Tatsachen gestützt werden.

 

Rn 6

Keine Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die mit der Stellung eines neuen oder der Änderung des bisherigen Antrags verbundenen selbstständigen Angriffe und Verteidigungen (Klageerweiterung, Klageänderung, Widerklage; BGH NJW 17, 491 [BGH 20.09.2016 - VIII ZR 247/15]; NJW 01, 1210 [BGH 15.01.2001 - II ZR 48/99]; § 282 Rn 5, § 296 Rn 6). Keine Angriffs- und Verteidigungsmittel sind auch bloße Rechtsausführungen, die in der Berufungsinstanz ohne zeitliche Beschränkung möglich sind (Zö/Gummer/Heßler Rz 8).

 

Rn 7

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die bereits erstinstanzlich vorgebracht wurden, unterlagen bereits dort den Voraussetzungen § 296. Wurden sie zu Recht zurückgewiesen, bleiben sie auch für die Berufung ausgeschlossen (§ 531 I), wurden sie zu Unrecht oder nicht zurückgewiesen, werden sie auch ohne besondere Wiederholung zum Prozessstoff 2. Instanz. Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erstmals in der Berufung vorgebracht werden, können nur berücksichtigt werden, wenn sie sowohl die Voraussetzungen des § 530 als auch die des § 531 II erfüllen. Die Aufrechnung ist Angriffs- und Verteidigungsmittel (BGHZ 91, 293, 303), unterfällt zweitinstanzlich damit sowohl § 530 als auch § 533. Die Anschlussberufung ist selbstständiger Angriff, nicht bloßes Angriffs- und Verteidigungsmittel. Werden zur Begründung der Anschlussberufung Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist vorgetragen, sind diese nach §§ 524 II 2, 521 II, 530 präkludiert (Eichele/Hirtz/Oberheim/Ahrens Kap 13 Rz 103; aA HK-ZPO/Wöstmann Rz 3). Zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln gehört auch das Vorbringen zu den Nebenforderungen (Zinsen; BGH WM 77, 173).

II. Verspätung.

 

Rn 8

Verspätet ist das Vorbringen, wenn der Berufungskläger entweder die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 II; dort Rn 4) o...

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