Gesetzestext

 

Die Wirksamkeit eines Verzichts auf das Recht der Berufung ist nicht davon abhängig, dass der Gegner die Verzichtsleistung angenommen hat.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift schafft nicht die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittelverzichts, sondern geht von der Zulässigkeit aus. Das ist die Folge des den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsgrundsatzes. Er gibt den Parteien das Recht, selbst zu entscheiden, ob und mit welchem Ziel sie einen Rechtsstreit führen wollen. Deshalb bleibt es ihnen auch überlassen, ob und in welchem Umfang sie Rechtsmittel gegen ein sie beschwerendes Urt einlegen. Diese Entscheidungsfreiheit steht ihnen auch in Ehe- und Kindschaftssachen zu. Sie beschränkt sich nicht auf die Berufung; § 515 findet auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil (§ 346), auf die Revision (§ 565) und auf die Beschwerde (Schlesw SchlHA 57, 75) entsprechende Anwendung. Für die Anschlussberufung gilt die Vorschrift jedoch nicht; sie ist trotz Verzichts auf die Berufung zulässig (§ 524 II).

B. Berufungsverzicht.

I. Inhalt.

 

Rn 2

Der Verzicht auf die Berufung ist die Erklärung einer Partei, sich ihres Rechts auf Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht endgültig begeben zu wollen (vgl RGZ 161, 350, 355). Demnach kann ein Verzicht nur angenommen werden, wenn in der Erklärung, die nicht ausdrücklich als ›Verzicht‹ bezeichnet sein muss, klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, die erstinstanzliche Entscheidung hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH NJW 06, 3498 [BGH 05.09.2006 - VI ZB 65/05]). Dieser Erklärungsinhalt muss ggf durch Auslegung ermittelt werden, für die allerdings Zurückhaltung geboten ist und an die wegen der Unanfechtbarkeit und Unwiderruflichkeit der Erklärung strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH aaO). Diesem Gesichtspunkt kommt besonderes Gewicht bei der Annahme einer Verzichtserklärung aufgrund konkludenten Verhaltens zu.

 

Rn 3

Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze sind die schuldrechtliche Verpflichtung zur Abgabe der Verzichtserklärung und erst recht die bloße Absichtserklärung, keine Berufung einlegen zu wollen, kein Verzicht. Auch die Beschränkung der Anträge in der Berufungsbegründung auf einen Teil der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urt beinhaltet idR keinen Verzicht auf die Berufung hinsichtlich des übrigen Teils (BGH NJW 01, 146 [BGH 28.09.2000 - IX ZR 6/99]). Der Verzicht auf die Begründung einer Kostenentscheidung nach § 91a ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Verzicht auf ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung anzusehen (BGH NJW 06, 3498 [BGH 05.09.2006 - VI ZB 65/05]). Dasselbe gilt im Fall der Zahlung auf eine streitig gebliebene Forderung nach dem Erlass eines vorläufig vollstreckbaren Urteils (BGH NJW 94, 942 [BGH 16.11.1993 - X ZR 7/92]).

 

Rn 4

Dagegen enthält die Erklärung, es werde keine Berufung eingelegt werden, einen Verzicht (BGH NJW-RR 91, 1213 [BGH 19.03.1991 - XI ZR 138/90]). Dasselbe gilt für die Erklärung, die bereits eingelegte Berufung werde nach dem Eintritt bestimmter Bedingungen zurückgenommen (BGH NJW-RR 97, 1288 [BGH 14.05.1997 - XII ZR 184/96]) oder sei bereits zurückgenommen (BGH NJW 02, 2108, 2109 [BGH 12.03.2002 - VI ZR 379/01]). Die Erklärung, dass die Berufung nur hinsichtlich der Widerklage durchgeführt wird, kann den Verzicht auf die Berufung hinsichtlich des Gegenstands der Klage beinhalten (BGH NJW-RR 89, 1344 [BGH 28.03.1989 - VI ZR 246/88]). In der ausdrücklichen Beschränkung der Berufungseinlegung auf einen Teil mehrerer Klageanträge ist idR der Verzicht auf die weitergehende Berufung zu sehen (BGH NJW 90, 1118 [BGH 07.11.1989 - VI ZB 25/89]).

II. Rechtsnatur.

 

Rn 5

Die Vorschrift betrifft nur die einseitige Verzichtserklärung einer Partei. Sie ist eine Prozesshandlung, also das nach außen zu Tage tretende, auf einem Handlungswillen beruhende Verhalten einer Partei, welches darauf gerichtet ist, einen Erfolg herbeizuführen, dessen Wirkungen im Wesentlichen auf prozessualem Gebiet liegen. Wie jede Prozesshandlung ist auch die Verzichtserklärung grds unwiderruflich und nicht wegen Willensmängeln anfechtbar (BGH NJW-RR 86, 1327 [BGH 25.06.1986 - IVb ZB 75/85]). Abweichend von diesem Grundsatz kann die einseitige Verzichtserklärung mit Zustimmung des Prozessgegners bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht widerrufen werden, auch wenn sie dem Gericht ggü abgegeben wurde (vgl BGH NJW 90, 1118, 1119 [BGH 07.11.1989 - VI ZB 25/89]). Eine Widerrufsmöglichkeit besteht auch dann, wenn das erstinstanzliche Urt wegen des Vorliegens eines Restitutionsgrundes der Restitutionsklage nach § 580 unterliegt (BGH FamRZ 93, 694).

 

Rn 6

Neben der einseitigen Verzichtserklärung kommt auch der Abschluss eines bürgerlichrechtlichen Verzichtsvertrags in Betracht. An diesen sind die Parteien wie an jedes Rechtsgeschäft gebunden; der einseitige Widerruf ist deshalb ausgeschlossen. Die Anfechtbarkeit richtet sich nach den Vorschriften der §§ 119 ff BGB.

III. Zeitpunkt, Adressat und Rechtsfolgen des Verzichts.

 

Rn 7

Der Verzicht kann sowohl vor als auch nach dem Erlass des erstin...

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