Gesetzestext

 

(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

(2) 1Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass

1. der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache,
2. die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels,
3. der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels

festgestellt wird. 2Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

(3) Soweit eine Begutachtung bereits gerichtlich angeordnet worden ist, findet eine neue Begutachtung nur statt, wenn die Voraussetzungen des § 412 erfüllt sind.

A. Geschichte.

 

Rn 1

Dieses spezielle Verfahren geht zurück auf die dem nachklassischen römischen Recht entstammende prozessunabhängige und ohne Beteiligung des Gegners möglich gewesene ›probatio ad perpetuam rei memoriam‹, also den ›Beweis zum ewigen Gedächtnis‹, und auf die im kanonischen Recht entwickelte Möglichkeit der Beweissicherung bei drohendem Verlust des Beweismittels, welche dann die Klageerhebung binnen Jahresfrist erforderte.

B. Gesetzeszweck.

 

Rn 2

Mit dem Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17.12.90 wurde das ›Beweissicherungsverfahren‹, welches dazu diente, den Beweisführer vor dem Risiko einer tatsächlichen Beweisfälligkeit zu schützen, diesem also eine vorsorgliche Beweissicherung ermöglichen wollte, mit Wirkung ab dem 1.4.91 durch das ›selbstständige Beweisverfahren‹ ersetzt. Dieses selbstständige Beweisverfahren sichert gesetzlich weitere Ziele, nämlich Schlichtung, Prozessvermeidung, mithin Entlastung der Gerichte, Beschleunigung des Rechtsstreits und Beeinflussung der Verjährung (dazu § 487 Rn 18). Der Beschleunigungseffekt kann in der Praxis verloren gehen, wenn der ASt nicht hinreichend sorgfältig vorträgt (dazu § 487 Rn 3, 5) und dadurch vor Durchführung der Beweisaufnahme gerichtliche Nachfragen erforderlich werden, wenn der ASt mit der Einzahlung des für die Einholung der Beweise angeforderten Vorschusses (dazu § 490 Rn 4) zögert, wenn die Parteien die zeitaufwändige schriftliche Gutachtenergänzung anstelle der rascher abwickelbaren mündlichen Anhörung (dazu § 492 Rn 4) beantragen oder weil Gerichte die Verfahren bisweilen (FAKomm-BauR/Kirberger Vor zu §§ 485 ff ZPO Rz 19: ›im Regelfalle‹) entgegen der gesetzlichen Vorgabe nicht als Eilfall behandeln (Fellner MDR 14, 66, 69: Die Streitbeilegungserfolgsaussicht eines vorprozessualen selbstständigen Beweisverfahrens liegt bei 10 %, bei einer zugespitzten streitigen Situation birgt ein vorprozessuales selbstständiges Beweisverfahren die Gefahr der Zeitverschwendung.). Allerdings sind ein nach § 485 II geführtes selbstständiges Beweisverfahren und ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren zwei unterschiedliche Verfahren, sodass eine auf § 198 I GVG gestützte Forderung auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nur getrennt gewertet werden kann (BGH BauR 14, 687). Eine weitere Schwäche des selbstständigen Beweisverfahrens kann sich daraus ergeben, dass das Gericht den Hintergrund des selbstständigen Beweisverfahrens durchweg nicht überblickt und deshalb die in § 404a auferlegte Einweisung des Sachverständigen (dazu § 490 Rn 3) gelegentlich nicht umfassend verwirklichen kann; bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, dass richterliche Weisungen nach § 404a auch nicht per sofortiger Beschwerde erzwungen werden können (Hambg IBR 15, 1091). Die früher von Richtern der Eingangsgerichte bemängelte unzureichende dienstinterne Bewertung ihrer Bearbeitung der selbstständigen Beweisverfahren besteht mittlerweile durchweg nicht mehr.

C. Geltungsbereich.

 

Rn 3

Der wohl überwiegende Bereich der selbstständigen Beweisverfahren im Zivilprozess ist der der Vermeidung bzw Vorbereitung eines Bauprozesses, zB während des Bauens die Prüfung behaupteter Mängel an Vorgewerken oder nach Kündigung die Feststellung eines bestimmten Bautenstandes einschließlich der Qualität. Ein Mängelbeseitigungsverlangen genügt den Anforderungen, wenn der Auftraggeber die Mängelerscheinungen durch Bezugnahme auf ein dem Auftragnehmer bekanntes und im selbstständigen Beweisverfahren besorgtes Gutachten bezeichnet (BGH NJW 09, 354 [BGH 09.10.2008 - VII ZR 80/07]). Der Geltendmachung v. Nutzungsausfallschäden in Form eines entgangenen Gewinns durch den Auftraggeber kann der in Anspruch genommene Werkunternehmer einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht entgegenhalten, wenn der Auftraggeber die einer Nutzbarkeit bzw Vermietbarkeit entgegenstehenden Mängel wg noch nicht abgeschlossener sachverständiger Feststellungen iRe selbstständigen Beweisverfahrens bzw iRe gerichtlichen Verfahrens nicht beseitigt h...

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