Gesetzestext

 

Lehnt der Gegner ab, sich vernehmen zu lassen, oder gibt er auf Verlangen des Gerichts keine Erklärung ab, so hat das Gericht unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage, insbesondere der für die Weigerung vorgebrachten Gründe, nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die nach § 445 beantragte Parteivernehmung ist nicht erzwingbar. Anders als für den Zeugen besteht für die Partei keine Verpflichtung, sich vernehmen zu lassen und dadurch zur Tatsachenfeststellung beizutragen. Das Gesetz sieht aber vor, dass die Weigerung zum Nachteil der Partei gewürdigt werden kann. § 446 ist ein Anwendungsfall des Grundsatzes, dass auch das prozessuale Verhalten einer Partei Gegenstand der Beweiswürdigung sein darf (§ 286 Rn 6). Insofern kann man von einer prozessualen Last der Partei sprechen (St/J/Berger Rz 1).

B. Ablehnung der Parteivernehmung.

 

Rn 2

Die Weigerung der zu vernehmenden Partei kann sich in ausdrücklicher Ablehnung oder durch Untätigbleiben äußern.

I. Erklärungspflicht.

 

Rn 3

Der Gegner, dessen Parteivernehmung beantragt ist, muss sich darüber erklären, ob er bereit ist, sich vernehmen zu lassen. Abgegeben werden muss die Erklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung; die Bereitschaftserklärung in einem Schriftsatz hat lediglich ankündigenden Charakter. Das Unterlassen einer Erklärung steht der Ablehnung nur dann gleich, wenn das Gericht ausdrücklich zur Erklärung aufgefordert hat. Sowohl die Erklärung, sich vernehmen zu lassen, als auch die Weigerung sind bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung frei widerruflich (BeckOKZPO/Bechteler Rz 1).

II. Inhalt der Erklärung.

 

Rn 4

Die Erklärung muss eindeutig (bejahend oder verneinend) und unbedingt sein. Sie kann insb nicht nur für den Fall abgegeben werden, dass zunächst über erhobene Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Parteivernehmung entschieden wird (MüKoZPO/Schreiber Rz 2). Im Anwaltsprozess gilt für die Erklärung der Anwaltszwang, § 78 I.

III. Nachträgliche Bereiterklärung.

 

Rn 5

Da es sich bei der Äußerung der Partei nach § 446 nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, sondern um eine Erklärung der Partei in ihrer Eigenschaft als Beweisperson handelt, können auf nachträgliche Erklärungen die Verspätungsvorschriften (§§ 282, 296) keine Anwendung finden (St/J/Berger Rz 10; aA Karlsr NJW-RR 91, 200). Eine spätere Bereitschaft zur Aussage ist zu berücksichtigen, wenn zunächst berechtigte Gründe für die Ablehnung oder Weigerung vorgelegen haben, die nun weggefallen sind.

C. Würdigung der Ablehnungsgründe.

 

Rn 6

Die Weigerung des Gegners hat das Gericht frei zu würdigen. Formelle Beweisfolgen idS, dass die Behauptung des Beweispflichtigen als erwiesen anzusehen ist, sieht das Gesetz nicht vor. Eine Beweiswürdigung zum Nachteil der sich weigernden Partei setzt die Zulässigkeit der Anordnung ihrer Vernehmung voraus. IdR wird bei der Beweiswürdigung nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sein, dass die Parteivernehmung Günstiges für den Beweisführer erbracht hätte. Anders liegt es, wenn der Gegner für sein Verhalten vernünftige Gründe anführen kann (zB Aufdeckung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen oder strafbarem Verhalten, Scham, gewichtige außerprozessuale Nachteile). Zur Abgabe entsprechender Erklärungen muss ihn das Gericht auffordern. Nicht ausreichend ist die pauschale Erklärung, nichts zu wissen, wenn der Gegner dargelegt hat, worauf das Wissen der Partei beruhen kann (Zö/Greger Rz 1).

D. Verfahren.

 

Rn 7

Eine Weigerung ist nach §§ 160 III Nr 3, 510a zu protokollieren. Auf die möglichen nachteiligen Folgen gem § 446 muss hingewiesen werden. Zur Verweigerung der Aussage oder des Eides s § 453 II; zur Nachholung der Aussage in der Berufungsinstanz s § 536. Auch im Urkundenprozess kann § 446 Anwendung finden (LG Köln ZMR 10, 534).

E. Hinweise zur mündlichen Verhandlung und Prozesstaktik.

 

Rn 8

Sind weitere erhebliche Beweismittel benannt, steht es im Ermessen des Gerichts, ob es die Erklärung über die Bereitschaft zur beantragten Parteivernehmung sofort oder erst nach Abschluss der sonstigen Beweisaufnahme fordert. Die zunächst erklärte Bereitschaft zur Vernehmung steht einer späteren Verweigerung der Aussage oder der Eidesleistung (s § 453 II) nicht entgegen. Je nach Verweigerungsgrund kann es angebracht sein, nicht nur auf die Folgen der Verweigerung, sondern auch darauf hinzuweisen, dass den Bedenken der Partei dadurch Rechnung getragen werden kann, dass sie nur zu einzelnen Punkten (etwa zu Betriebsgeheimnissen) keine Aussagen macht.

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