Gesetzestext

 

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Das Gesetz gibt durch Abs 3 den Parteien die Möglichkeit, durch Ablehnung des Richters ihr grundgesetzlich garantiertes Recht auf einen neutralen Richter (§ 41 Rn 1) durchzusetzen (BGH NJW 12, 1890 [BGH 15.03.2012 - V ZB 102/11]), in dem es ihnen ein eigenes Recht schafft, bei Nichtbeachtung der Ausschlussgründe des § 41 diese oder sonstige Gründe zur Überprüfung zu stellen, die aus ihrer Sicht Misstrauen gg die Unparteilichkeit es Richters rechtfertigen können (Abs 2). Dieses Recht zur Überprüfung billigt das Gesetz durch § 48 auch dem einzelnen Richter zu. Die Ablehnung setzt einen in der Person des Richters liegenden individuellen Grund voraus (Wieczorek/Schütze/Niemann § 42 Rz 18; Zö/Vollkommer § 42 Rz 30). In der Rechtspraxis kommt eine auf § 41 gestützte Ablehnung einer Partei äußerst selten vor. Die mit Abs 2 begründeten Ablehnungen sind weitaus häufiger, werden indes kaum für begründet erachtet (MüKoZPO/Stackmann § 42 Rz 2; Musielak/Voit/Heinrich § 42 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Niemann § 42 Rz 3). Hingegen führt die Anzeige gem § 48 regelmäßig zur Verhinderung des Richters (MüKoZPO/Stackmann § 42 Rz 2).

B. Geltungsbereich.

 

Rn 2

Nur ein bestimmter Richter kann abgelehnt werden. Ein Spruchkörper oder ein Gericht kann als Ganzes nicht abgelehnt werden, was nicht ausschließt, dass Befangenheitsgründe für mehrere oder sämtliche Mitglieder eines Spruchkörpers vorliegen (§ 41 Rn 10).

C. Ablehnung wegen Ausschlusses des Richters.

 

Rn 3

Diese Alternative ist in der Praxis zu vernachlässigen, da entweder der Ausschlussgrund ohne Weiteres vom Gericht berücksichtigt wird oder in Zweifelsfragen Gegenstand einer Selbstanzeige gem § 48 ZPO ist. Kommt es nicht zur Selbstanzeige, greift immer Alt 2 (s Rn 43). Da der Ausschluss gesetzlich normiert ist, muss er zu jedem Zeitpunkt des Rechtsstreits beachtet werden. Wird das Gesuch rechtskräftig zurückgewiesen, kann hierauf weder eine Revision (§ 547 Nr 2) noch eine Nichtigkeitsklage (§ 579 Nr 2) gestützt werden.

D. Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.

I. Allgemeines.

 

Rn 4

Die dem Richter übertragene Rechtsfindung ist kein singulärer Akt, sondern das Erg einer Kommunikation zwischen allen am Prozess Beteiligten. Diese Kommunikation besteht nicht nur im Austausch von Schriftsätzen und dem Erlass gerichtlicher Verfügungen oder Beschlüsse. Hinzu treten verbale und nonverbale Äußerungen in und außerhalb der mündlichen Verhandlung. Kommunikationsinhalte sind indes nicht immer eindeutig. Häufig kommt es im Rahmen von Kommunikation zu Fehlverhalten und -interpretation Während Parteien und ihre Helfer die Kommunikation ihren Interessen folgend gestalten können, ist der Richter durch die Pflicht zur Unparteilichkeit in seinen Möglichkeiten beschränkt. Durch § 39 DRiG ist ihm Zurückhaltung auferlegt, auch außerhalb des Dienstes. Dieses Mäßigungsgebot führt indes nicht dazu, dass er losgelöst von seiner Persönlichkeit agiert. Er ist als Individuum geprägt durch Herkunft, Erziehung und soziales Umfeld. Diese Prägung führt generell zu persönlichen Grundeinstellungen, in denen ein Richter ebenso ›befangen‹ ist, wie jeder andere auch. Diese ›verborgene Befangenheit‹, die sich in bewusster oder unbewusster Empathie ggü dem Streitgegenstand oder den Prozessbeteiligten widerspiegeln kann, begleitet auch den gewissenhaftesten Richter (B/L/H/A/G/Göertz Grdz vor § 41 Rz 2). Ein Richter lebt nicht im luftleeren Raum. Er verfügt über soziale Kontakte der verschiedensten Art, die ihn in seiner beruflichen Tätigkeit einholen. Bei aller Mäßigung gerät er zwangsläufig bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits immer wieder in ein Spannungsfeld zwischen Vertrauen, welches ihm als Richter entgegengebracht wird (§ 41 Rn 1), und Kritik in seinem Umgang mit diesem Vertrauen. In diesem Spannungsfeld ist die Besorgnis der Befangenheit zu verorten. Da die Kommunikation immer mit wechselnden Beteiligten mit ihren jew höchstpersönlichen Prägungen und in verschiedenen Situationen stattfindet, verbietet sich jede schematische Einordnung, wann eine Besorgnis der Befangenheit vorliegt. Das Gesetz überlässt die Definition der die Ablehnung des Richters rechtfertigenden Befangenheit der pflichtgemäßen Beurteilung des zur Entscheidung hierüber berufenen Gerichts (St/J/Bork § 42 Rz 2). Die Rspr hat ihrerseits eine nahezu unüberschaubare Kasuistik entwickelt, die immer nur Fingerzeig, niemals aber absoluter Bewertungsmaßstab im Einzelfall sein kann und darf. In der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit muss sich der juristische Allgemeinplatz konkretisieren: Jeder Fall ist anders.

II. Begriff der Besorgnis der Befangenheit.

 

Rn 5

Befangenheit ist eine vorgefasste innere Einstellung einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache, die als solche nicht erkennbar i...

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