Gesetzestext

 

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

A. Normzweck.

I. Abs 1.

 

Rn 1

Ist eine weitere Aufklärung erforderlich (s vor §§ 402 ff Rn 4), so kann eine Ergänzung oder Klarstellung angeordnet werden (§ 411 III, s § 411 Rn 17–25). Ist dies nicht ausreichend, so kann, ggf muss das Gericht gem § 412 ein neues, weiteres Gutachten einholen. Dazu kann ein anderer, neuer Gutachter, aber auch derselbe (ggf auch gem §§ 402, 398) beauftragt werden. Bei widersprechenden Gutachten kann ein weiteres Gutachten (sog ›Obergutachten‹) eingeholt werden (s Rn 4; zur nicht ganz einheitlichen Terminologie Broß ZZP 102, 413, 434 ff). Zur Bedeutung im Hauptsacheprozess im Anschluss an ein selbstständiges Beweisverfahren s § 403 Rn 1.

II. Abs 2.

 

Rn 2

Ist ein SV nach der Gutachtenerstattung erfolgreich abgelehnt worden, kann nur ein anderer SV die Neubegutachtung vornehmen. Das Ermessen ist beschränkt auf die Frage, ob überhaupt erneut ein Sachverständigenbeweis zu erheben ist. Wird dies bejaht, so muss ein neuer SV bestimmt werden. Zur Möglichkeit der Nichtausführung oder Aufhebung des Beweisbeschl nach Gewährung rechtlichen Gehörs s § 360 Rn 2–9.

B. Einzelerläuterungen.

I. Anordnung.

1. Ermessen.

 

Rn 3

Die Anordnung steht grds im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH NJW 99, 1778f [BGH 16.03.1999 - VI ZR 34/98]). Einwendungen der Parteien sind sorgfältig zu würdigen (BGH NJW 86, 1928 [BGH 06.03.1986 - III ZR 245/84]). Die richterliche Überprüfung und Beurteilung des Sachverständigengutachtens (s.a. vor §§ 402 ff Rn 4, § 411 Rn 17–25) kann bei geringfügigen Mängeln ergeben, dass das Gericht zu den erforderlichen rechtlichen Wertungen gleichwohl imstande ist, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (BGH GRUR 10, 410, 413 [BGH 26.01.2010 - X ZR 25/06] zur Patentauslegung).

2. Rechtspflicht.

 

Rn 4

Unter Umständen besteht eine Pflicht zur Einholung eines neuen Gutachtens. Etwa wenn an der Sachkunde des bisherigen Gutachters Zweifel bestehen, wenn das vorliegende Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, Widersprüche enthält oder wenn der neue SV über bessere Forschungsmittel (oder -methoden) verfügt (BGHZ 53, 245, 258 = NJW 70, 946, 949; VersR 11, 1171, 1172; NJW-RR 11, 1459 mwN; BVerwG NJW 09, 2614; KG VersR 04, 1193 [KG Berlin 16.10.2003 - 12 U 58/01]), des Weiteren wenn das vorliegende Gutachten unvollständig ist (BGH NJW 96, 730 [BGH 29.11.1995 - VIII ZR 278/94]), neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen (BGH NJW 64, 1184; Kobl VersR 10, 204 [OLG Koblenz 30.04.2009 - 10 U 959/08]) oder sich Rechtslage/Rspr geändert haben (BVerwG NVwZ-RR 13, 620 [BVerwG 27.03.2013 - BVerwG 10 B 34.12]). Vorrangig kann eine Ergänzung des schriftlichen Gutachtens einzuholen oder der SV zur mündlichen Erläuterung zu laden sein (zB bei Widerspruch zu einem später eingereichten Privatgutachten, vgl BGH VersR 20, 639; NJW 02, 1651, 1654; NJW 01, 77, 78; s § 411 Rn 17–25; gewichtige Zweifel am Erstgutachter erlauben aber die sofortige Anordnung der Neubegutachtung, BGH NJW 11, 852, 854 [BGH 04.11.2010 - III ZR 45/10]). Führt die Befragung nicht zur Klärung der Defizite, so ist ein neues Gutachten einzuholen (BGH NJW 17, 3661 [BGH 17.05.2017 - VII ZR 36/15]; VersR 09, 499, 500 [BGH 21.01.2009 - VI ZR 170/08]; NJW 01, 1787, 1788 [BGH 16.01.2001 - VI ZR 408/99]). Bei Widersprüchen zwischen mehreren Gutachten (auch zu Privatgutachten, vor §§ 402 ff Rn 9) kann ein ›Obergutachten‹ (zur Terminologie Rn 1) eingeholt werden. Dies ist jedoch nicht zwingend, vielmehr kann sich das Gericht in freier Beweiswürdigung (§ 286 I 1) einem SV anschließen. Dessen Gutachten muss aber vollständig, überzeugend und in sich widerspruchsfrei sein, zudem muss dem Urt einleuchtend und logisch nachvollziehbar zu entnehmen sein, aus welchen Gründen das Gericht den anderen Gutachten nicht gefolgt ist (stRspr: BGH VersR 11, 552 [BGH 12.01.2011 - IV ZR 190/08]; 09, 817 [BGH 25.02.2009 - IV ZR 27/08]; 09, 518, 519 [BGH 03.12.2008 - IV ZR 20/06]; 09, 492, 494 [BGH 28.01.2009 - IV ZR 6/08]), und dass diese Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist (andernfalls droht die Ablehnung des prozessleitenden Richters als befangen, Karlsr VersR 11, 1284 [KG Berlin 08.03.2011 - 9 U 165/09] m Anm Jahns). Die Einholung eines Obergutachtens kann aber geboten sein, wenn die Begutachtung besonders schwierige Sachfragen betrifft (vgl BGH NJW 62, 676) oder die vorhandenen Gutachten grobe Mängel aufweisen (BGHZ 10, 266 = NJW 53, 1342). Ein Antrag auf erneute Begutachtung kann entspr § 244 IV 2 StPO abgelehnt werden, wenn durch das oder die früheren Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (BGHZ 53, 245, 258 f = NJW 70, 946, 949; restriktiv BGH[St] NJW 10, 1214 m Anm Hoffmann/Wendler = JZ 10, 474 m Anm Eisenberg). Allg zur Ablehnung von Sachverständigenbeweisanträgen s ...

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