Gesetzestext

 

1Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen. 2Der Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden.

A. Normzweck und Grundlagen.

 

Rn 1

§ 314 ist eine Sonderregelung zu den Beweiswirkungen öffentlicher Urkunden (§§ 415, 417, 418). Sie wird vom BGH im Hinblick auf die negative Beweiskraft zunehmend funktionslos gemacht (unten Rn 5). Nach S 1 gilt das im Tatbestand dokumentierte mündliche Parteivorbringen als bewiesen, nicht aber deren Inhalt als richtig (Rn 4). In S 1 liegt eine den Richter bindende Beweisregel iSd § 286 II. Sie erfasst unmittelbar nur Vorbringen in der jeweiligen Instanz vor dem erkennenden Gericht (s.a. Rn 6). § 314 begründet keine Bindung anderer Gerichte in anderen Verfahren (Stuttg ZfBR 19, 677, 679: Zö/Feskorn Rz 1).

Das Urt ist eine öffentliche Urkunde, die richtigerweise teils nach § 417, teils nach § 418 zu beurteilen ist (aA offenbar ThoPu/Reichold Rz 1: § 418). Soweit es den rechtsbestätigenden Inhalt der Entscheidung selbst angeht, ist nach § 417 ein Gegenbeweis ohnedies unzulässig; auf § 314 kommt es nicht an. Das im Tatbestand mitgeteilte Vorbringen der Parteien beruht auf deren Wahrnehmung durch das Gericht und unterfällt dem § 418 (näher § 418 Rn 4); S 2 beschränkt die Möglichkeit des Gegenbeweises über § 418 II hinaus auf das Sitzungsprotokoll.

Eine etwaige Unrichtigkeit der Feststellungen kann nur über eine Tatbestandsberichtigung gem § 320 behoben werden (BGH NJW 07, 2913, 2915 [BGH 09.07.2007 - II ZR 233/05] Tz 21). Die Aufhebung des Urteilsausspruchs berührt die Beweiskraft des Tatbestands nicht (RGZ 77, 29, 31), anders ist es aber bei Aufhebung des Verfahrens gem § 538 II Nr 1 (Zö/Feskorn Rz 5).

B. Voraussetzungen.

I. Tatbestand.

 

Rn 2

Der Tatbestand iSd S 1 meint nicht nur einen äußerlich von den Entscheidungsgründen getrennten Teil des Urteils, sondern auch tatbestandliche Feststellungen innerhalb der Entscheidungsgründe, da die Beweiskraft grds nicht von dem äußerlichen Aufbau des Urteils abhängen kann (BGH VersR 74, 1021; BGHZ 139, 36, 39 = NJW 93, 55, 56; 03, 2158, 2159, BAG NZA 10, 290 Tz 47; stRspr; s aber Rn 7). Bei Berufungsurteilen, die gem § 540 I Nr 1 keines eigenständigen Tatbestands bedürfen, findet § 314 Anwendung, wenn die Gründe des Urteils die tatsächlichen Feststellungen hinreichend und in einer der Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglichen Weise (§ 559) erkennen lassen (BGH NJW 97, 1931, NJW 11, 1513 [BGH 16.12.2010 - I ZR 161/08] Tz 12). Für die verkürzte Darstellung im Tatbestand des Revisionsurteils gilt die Beweiskraft grds nicht (BGH BeckRS 16, 12167 Tz 8). Ein Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines Revisionsurteils ist unzulässig, wenn sich der Antrag lediglich auf die angeblich unrichtige Wiedergabe von Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz bezieht, an die das Revisionsgericht mangels durchgreifender Verfahrensrügen gebunden war (BVerwG NVwZ-RR 18, 592 [BVerwG 24.04.2018 - BVerwG 2 C 36.16] Rz 4 zu § 119 VwGO).

Im schriftlichen Verfahren ist § 314 schon deshalb nicht anwendbar, weil es kein mündliches Parteivorbringen gibt; anders ist es, wenn zunächst mündlich verhandelt worden war (BGH Warn 72, 200, 201; MüKoZPO/Musielak Rz 4) und die Richter nicht gewechselt haben (BGH NJW 56, 945 [BGH 03.03.1956 - IV ZR 301/55], LS 1). Gleiches gilt bei einer Entscheidung nach § 251a. In beiden Fällen bezieht sich die Beweiskraft aber nicht auf sämtliches Vorbringen, sondern nur auf das Vorbringen in ebendieser mündlichen Verhandlung, das freilich auch unausgesprochen auf die Schriftsätze Bezug nehmen kann (§ 137 III).

II. Mündliches Parteivorbringen.

 

Rn 3

§ 314 meint die Bindung an das mündliche Parteivorbringen (BGH NJW 11, 1069, 1070 [BGH 28.01.2011 - V ZR 147/10] Tz 21). Dazu gehören Angriffs- und Verteidigungsmittel jeder Art (§ 282 Rn 5). Davon zu unterscheiden ist die Bindung an tatsächliche Feststellungen, etwa in den Entscheidungsgründen nach Beweisaufnahme oder als unstreitiges oder zugestandenes Vorbringen, das im Tatbestand wiedergegeben ist (Zö/Feskorn Rz 3). Insoweit ergibt sich die mit Urteilsaufhebung entfallende Bindung des Berufungsgerichts aus § 529 I (§ 529 Rn 9 ff, und unten Rn 6); neues, von den unterinstanzlichen Feststellungen abweichendes Vorbringen ist nicht präkludiert (§ 529 Rn 18 mN). Andere Feststellungen über Prozessgeschehen, Beweisaufnahmen, richterliche Hinweise, rechtliche Bewertungen (BGH NJW-RR 90, 813, 814) und dergleichen, die nicht Parteivorbringen sind, können ggf einer Beweiswirkung nach §§ 160, 165 oder nach § 418 (mit Möglichkeit des Gegenbeweises nach § 418 II) unterliegen. Der Beweis ihres Inhalts richtet sich aber nicht nach § 314 (BGH NJW 83, 2030, 2032; NJW-RR 90, 813, 814 [BGH 20.02.1990 - XI ZR 198/89]). Soweit man entgegen der hM (NJW 84, 1465 f [BGH 18.01.1984 - IVb ZB 53/83]; § 165 Rn 2) die Beweiskraft des § 165 auch auf den Inhalt von protokollierten Parteihandlungen iSd §§ 160 III Nr 1, 3–6, 8, 9 und 10 erstreckt, geht das Protokoll dem § 314 vor, arg e § 314 S 2 (BGH VersR 84, 946, 947). Gleiche Maßstäbe gelten für den Inhalt der Anträge (St/J/...

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