Gesetzestext

 

(1) 1Bei nicht prozessfähigen Personen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. 2Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam.

(2) Ist der Zustellungsadressat keine natürliche Person, genügt die Zustellung an den Leiter.

(3) Bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Leitern genügt die Zustellung an einen von ihnen.

A. Anwendungsbereich.

 

Rn 1

§ 170 gilt auch bei Parteizustellung (§ 191), ebenso bei der Zustellung an einen Streitverkündungsempfänger oder Drittschuldner, nicht aber bei der Zustellung an Zeugen oder Sachverständige (MüKoZPO/Häublein/Müller Rz 1 Fn 2 mwN). In Kindschaftssachen iSd §§ 151 ff FamFG ist auch an ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, zuzustellen (§§ 159 IV, 164 FamFG). Ist ein Beschl nach § 41 I 2 FamFG demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht, kann nicht nach § 170 an den Vertreter dieser Person (zB Betreuer) zugestellt werden (vgl BGH NJW-RR 11, 1011 [BGH 04.05.2011 - XII ZB 632/10]).

B. Zustellung an gesetzlichen Vertreter.

I. Tatbestandsvoraussetzungen.

 

Rn 2

Zum Fehlen der Prozessfähigkeit s § 52. Zum gesetzlichen Vertreter s § 51 Rn 2 ff.

Die Zustellung an den Betreuer wirkt indessen nicht gegen den Betroffenen. Die Vorschrift findet auf diesen im Betreuungsverfahren keine Anwendung (BGH NJW-RR 19, 1025 [BGH 26.06.2019 - XII ZB 35/19] Rz 15). Nach § 275 FamFG ist der Betroffene vielmehr in Betreuungssachen ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Betroffene in allen mit der Betreuung zusammenhängenden Verfahren alle Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst vorbringen und von Rechtsmitteln Gebrauch machen können. Dadurch soll die Rechtsposition der Betroffenen im Verfahrensrecht entscheidend verbessert werden (BTDrs 11/4528, 170).

Eine GmbH, die keinen Geschäftsführer hat, wird durch die Gesellschafter vertreten (§ 35 I 2 GmbHG); eine führungslose AG (ohne Vorstand) wird durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 78 I 2 AktG). Zudem sind eine GmbH nach § 8 IV Nr 1 GmbHG und eine AG nach § 37 III Nr 1 AktG verpflichtet, bei der Anmeldung zum Handelsregister eine inländische Geschäftsanschrift anzugeben (zu den Übergangsfristen s § 3 EGGmbHG bzw § 18 EGAktG). Zusätzlich können GmbH und AG im Handelsregister eine andere Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person eintragen lassen. Ein Rangverhältnis zwischen der Zustellung an den gesetzlichen Vertreter oder an die weitere Empfangsperson besteht nicht (BRDrs 354/07, 123f). Ist unter beiden Anschriften, die für Dritte jederzeit – auch online – einsehbar sind, eine Zustellung nicht möglich, eröffnen § 15a HGB (für materiell-rechtliche Erklärungen) und iÜ § 185 Nr 2 die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung, soweit nicht eine Zustellung unter einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist. Ist der Aufsichtsrat gem § 112 AktG (ggf iVm § 52 I GmbHG) zur Vertretung berufen, weil Prozessgegner ein Vorstandsmitglied ist, ist an den Aufsichtsrat zuzustellen (eingehend hierzu sowie etwaigen, aber praktisch seltenen Heilungsmöglichkeiten Gehle MDR 11, 957 ff). Für eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist der Verwalter Zustellungsvertreter (zu Einzelheiten vgl MüKoZPO/Häublein/Müller Rz 3 f.). Hiervon ist er ausgeschlossen, wenn er als Gegner der Wohnungseigentümer an dem Verfahren beteiligt ist oder die konkrete (vgl BGH NJW 12, 2040 [BGH 09.03.2012 - V ZR 170/11]) Gefahr besteht, dass er die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht informiert. Auch der Ersatzzustellungsvertreter nach § 45 II, III WEG aF, § 9b WEG ist als gesetzlich berufener Vertreter gesetzlicher Vertreter iSd § 170 I (Schmid MDR 08, 662, 663; zu Einzelheiten s Köhler ZfIR 10, 85 ff und Drasdo, NJW-Spezial 12, 737). Bei einer rechtsfähigen GbR kann an den Geschäftsführer zugestellt werden (BGH NJW 07, 995f [BGH 07.12.2006 - V ZB 166/05]). Die Vertretungsbefugnis darf nicht allgemein oder im Einzelfall (zB nach § 112 AktG, vgl Hager NJW 92, 352 [BGH 22.04.1991 - II ZR 151/90]) ausgeschlossen sein. Der Vertreter darf insb nicht Verfahrensgegner sein (vgl § 178 Rn 11). Zuzustellen ist an den oder einen von mehreren (vgl Abs 3) gesetzlichen Vertreter(n). Der gesetzliche Vertreter ist Zustellungsadressat iSd § 182 II Nr 1 (s § 182 Rn 6). Eine Zustellung an nur einen Vertreter ist zum Schutz des Zwecks der Doppelvertretung aber dann nicht ausreichend, wenn eine juristische Person notwendig durch zwei mehrgliedrige Organe vertreten wird (vgl zB § 246 II 2 AktG, § 51 III 2 GenG; BGHZ 70, 384, 386; BGH NJW 92, 2099; vgl auch BGHZ 32, 114, 119 = NJW 60, 1006). Das Vertretungsverhältnis muss deutlich gemacht sein. Fehlt ein Vertreter, kann nicht zugestellt werden.

II. Wirkungen.

 

Rn 3

Die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter wirkt für und gegen die vertretene Person. Die Zustellung an einen Prozessunfähigen ist unwirksam (Abs 1 S 2). Unerheblich ist, ob die Prozessunfähigkeit bekannt ist. Unter Umständen kann aber bei der prozessunfähigen Partei der Lauf der Einspruchs- und Rechtsmittelfrist auch bei einer unwirksamen Zus...

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