A. Historische Entwicklung.

 

Rn 1

Bei den im UKlaG normierten Verbandsklagebefugnissen handelt es sich um besondere Interventionskompetenzen zur Durchsetzung des objektiven Rechts, die keine individuelle Rechtsverletzung voraussetzen. Darin ähneln sie der schon im römischen Recht vorkommenden Popularklage (vgl Halfmeier 29 ff), wobei aber bei der heutigen Verbandsklage der Kreis der zulässigen Kl stark eingeschränkt ist (zB in §§ 3 und 4 UKlaG). Die Geschichte der modernen Verbandsklage begann 1896 mit der Verbandsklagebefugnis zum Schutze des lauteren Wettbewerbs. Mit der UWG-Novelle 1965 wurde auch Verbraucherschutzverbänden die Klagekompetenz zur Unterbindung bestimmter UWG-Verstöße zuerkannt. Dieses Mittel bewährte sich und wurde daher 1976 bei der Ausarbeitung des AGB-Gesetzes in Form des § 13 AGBG übernommen. Mit der Schuldrechtsreform 2002 wurden die materiell-rechtlichen Vorschriften des AGB-Gesetzes in das BGB integriert (§§ 305 ff BGB); für das Verbandsklageverfahren wurde das UKlaG geschaffen und inhaltlich erweitert. Sachlich haben sich allerdings ggü § 13 AGBG nur wenige Änderungen ergeben, so dass die insoweit ergangene Rechtsprechung noch zu großen Teilen verwertbar ist. 2018 wurde mit §§ 606 ff ZPO eine weitere Variante der Verbandsklage eingeführt, nämlich die Musterfeststellungsklage (zu ihrem Verhältnis zum UKlaG s Vorbem vor § 606 ff ZPO Rn 5).

B. Zweck der Verbandsklage.

 

Rn 2

In einem auf der Durchsetzung subjektiver Rechte aufgebauten Privatrechtssystem wäre ein objektiv-rechtliches Kontrollsystem wie die Verbandsklage unnötig, wenn man davon ausgehen könnte, dass jeder Rechtsinhaber schon selber für die Durchsetzung seiner individuellen Rechte sorgen wird. Genau dies ist aber in der Realität nicht der Fall; vielmehr werden viele Verstöße gegen das objektive Recht von den Betroffenen aus Unwissenheit oder aus rationaler Apathie (etwa in ›Bagatellsachen‹) nicht verfolgt. Die Verbandsklage soll dem entgegenwirken und ist daher als kompensatorisches Instrument zu begreifen, mit dem faktischen Defiziten des auf individueller Rechtsverfolgung beruhenden Privatrechts begegnet werden soll.

C. Weitere Verbandsklagebefugnisse.

 

Rn 3

Das dargestellte kompensatorische Bedürfnis nach objektiver Rechtskontrolle besteht nicht nur im Verbraucherschutz und im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern auch in vielen anderen Rechtsbereichen. Daher finden sich heute zahlreiche Verbandsklagebefugnisse im deutschen Privatrecht, insb in §§ 8 und 10 UWG zum Schutz des lauteren Wettbewerbs, im Markenrecht (§ 55 II Nr 3 MarkenG), im Kartellrecht (§§ 33, 34a GWB), im Telekommunikationsrecht (§ 44 II TKG) und im Recht der privaten Krankenversicherung (§ 17 I 5 KHEntgG). Im Öffentlichen Recht bestehen Verbandsklagebefugnisse insb im Umweltrecht (grdl Schlacke 161 ff; vgl zur Umweltverbandsklage als objektive Rechtskontrolle ohne Voraussetzung subjektiver Betroffenheit EuGH NJW 11, 2779).

 

Rn 4

Alle Verbandsklagebefugnisse weisen gemeinsame Strukturprobleme auf, die sich aus ihrem Charakter als objektiv-rechtliche Kontrollbefugnis ergeben (vgl Halfmeier 186 ff). In der Praxis stehen die Verbandsklagen gem UKlaG und UWG im Vordergrund. Aufgrund der vergleichbaren Strukturen sind Rechtsprechung und Literatur zum UWG-Verbandsklageverfahren in großen Teilen auf das UKlaG und andere Verbandsklagebefugnisse übertragbar. Die Anwendungsbereiche von UKlaG und UWG überschneiden sich, weil zB die Verwendung unwirksamer AGB zugleich ein wettbewerbswidriges Verhalten iSv § 4 Nr 11 UWG sein kann (BGH NJW 11, 76 [BGH 31.03.2010 - I ZR 34/08]).

D. Allgemeine Reformperspektiven.

 

Rn 5

Durch die Zersplitterung der Verbandsklagebefugnisse auf verschiedene Gesetze (s.o. Rn 3) ist das geltende Recht der Verbandsklage unübersichtlich. Eine Zusammenfassung dieser Befugnisse und eine bessere Abstimmung mit dem allgemeinen Verfahrensrecht wäre wünschenswert, etwa durch eine Integration in die ZPO (dafür bereits Hess WM 04, 2329, 2334). Außerdem sind die geltenden Verbandsklagen aufgrund der beschränkten Ausstattung der klagebefugten Verbände nur tw effektiv. Hier käme eine Ausweitung zur Popular- oder Bürgerklage in Betracht (Halfmeier 377 ff). Soweit es um die kollektive Durchsetzung von Zahlungsansprüchen geht, berührt sich die Verbandsklage mit der Diskussion über die Gruppen- oder Sammelklage. Derartige Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes sind in vielen Staaten bereits eingeführt, vgl Stadler ZHR 182 (2018) 623, dort auch zu weiteren Reformperspektiven. In Deutschland wurde eine opt-in-Gruppenklage im Bundestag abgelehnt (BTDrs 18/1464; Montag ZRP 13, 172) und stattdessen eine Musterfeststellungsklage bestimmter Verbraucherverbände eingeführt, s Kommentierung zu §§ 606 ff ZPO.

 

Rn 6

Hinsichtlich der möglichen Rechtsschutzziele kennt das UKlaG va Unterlassung und Widerruf, nicht aber den Ausgleich entstandener Schäden oder die Korrektur von rechtswidrig erlangten Vorteilen. Der Gesetzgeber hat an anderer Stelle Gewinnabschöpfungsklagen (§§ 10 UWG, 34a GWB) eingeführt, die aber in der Praxis bisher nur eine beschränkte Wirkung entfalten konnten (vgl Melle...

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