Gesetzestext

 

(1) Der Vorsitzende leitet die Beratung, stellt die Fragen und sammelt die Stimmen.

(2) Meinungsverschiedenheiten über den Gegenstand, die Fassung und die Reihenfolge der Fragen oder über das Ergebnis der Abstimmung entscheidet das Gericht.

 

Rn 1

Die Beratung ist die abschließende Erörterung des Prozessstoffes, der Tatsachen- und der Beweisfragen durch die zur Entscheidung berufenen Richter, auch der ehrenamtlichen. In der Beratung muss der voll besetzte Spruchkörper eine Aussprache mit dem Ziel einer gerichtlichen Willensbildung durchführen. Die Beratung ist beendet, wenn der Zweck der Aussprache mit der Willensbildung über den Inhalt der Entscheidung erreicht ist (Bambg NStZ 81, 191).

 

Rn 2

Sie darf erst beginnen, wenn die gesamte mündliche Verhandlung abgeschlossen ist (Kissel/Mayer § 193 Rz 1). Dabei muss das Einverständnis mit der zu treffenden Entscheidung in äußerlich erkennbarer Weise herbeigeführt werden (BGHSt 24, 170 = NJW 71, 2082). Bei der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter, die das Urteil nicht unterschreiben, muss erkennbar sein, dass sie bei der Beratung und Beschlussfassung über die Entscheidung mitgewirkt haben und damit einverstanden sind, dass die Entscheidung so, wie entworfen, verkündet werden kann (BGH NJW-RR 12, 879). Über die Berücksichtigung eines nachgelassenen Schriftsatzes ist in vollständiger Besetzung zu beraten (BAG 14.6.19 – 7 B 25/18, NVwZ 19, 1854). Die Mitglieder eines Kollegialgerichts dürfen in einer umfangreichen Sache die bisherigen Ergebnisse der Hauptverhandlung vorbereitend besprechen und für die endgültige Beratung schriftlich festhalten (BGHSt 17, 337).

 

Rn 3

Der Sachbericht und das schriftliche Votum des Berichterstatters dienen der Vorbereitung der Verhandlung; sie stellen noch nicht die endgültige Meinung des Gerichts oder eines einzelnen Richters über den maßgeblichen Sachverhalt und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen dar und werden daher vom Beratungsgeheimnis nicht erfasst (BVerwG NVwZ 87, 127).

 

Rn 4

Ergänzungsrichter dürfen an der Beratung nicht teilnehmen (BGHSt 18, 331 = NJW 63, 1463). Es handelt sich um zwingendes Recht, das nicht zur Disposition des Gerichts steht, auch nicht bei Verzicht der Beteiligten auf Einhaltung des Beratungsgeheimnisses (HessVGH NJW 81, 599). Zur juristischen Ausbildung beschäftigten Personen und wissenschaftliche Mitarbeiter dürfen anwesend sein, wenn der Vorsitzende es gestattet. Darunter zählen nur Rechtsreferendare, nicht aber Studenten während eines Praktikums (BGHSt 41, 119 = NJW 95, 2645; Karlsr NJW 69, 628; aA HambgOVG NordÖR 99, 112; Kissel/Mayer Rz 22 mwN) oder Absolventen eines freiwilligen Berufspraktikums (Kobl StraFo 05, 79). Eine Beschäftigung iSd § 193 GVG liegt grds nur für die Dauer der Zuweisung des Referendars an das Gericht vor (BVerwG NJW 82, 1716). Ein zum Pflichtverteidiger bestellter Referendar darf auch dann an der Beratung nicht teilnehmen, wenn seine Bestellung vorher aufgehoben worden ist und er als Verteidiger in die Hauptverhandlung nicht eingegriffen hat (BGHSt 18, 165 = NJW 63, 549).

 

Rn 5

Die Beratung und Abstimmung kann mit (idR stillschweigendem) Einverständnis aller Richter aufgrund eines Beschlussentwurfs auch im Umlaufverfahren, das bei Beschlussentscheidungen häufig gewählt wird, stattfinden, wenn sämtliche an der Entscheidung beteiligten Richter mit dieser Form der Beratung und Abstimmung einverstanden sind und sichergestellt ist, dass jederzeit in eine mündliche Beratung gem § 194 GVG eingetreten werden kann, falls ein Richter dies beantragt oder sich ein neuer Gesichtspunkt ergibt (BVerwG NJW 92, 257). Jeder Richter hat die Möglichkeit, eine persönliche Beratung zu verlangen, wenn er Bedarf dazu sieht.

 

Rn 6

Die Entscheidung über die (endgültige) Zurückweisung der Berufung bedarf einer Beratung im Beisein sämtlicher beteiligten Richter; diese kann auch als Videokonferenz stattfinden (BGH 6.11.20 – LwZR 2/20, NJ 21, 30). Zulässig ist hingegen die Beratung über einen Hinweis gem § 522 Abs 2 ZPO im Wege der Telefonkonferenz. Eine Nachberatung, im Wege der Telefonkonferenz kann zulässig sein, darf aber eine mündliche Beratung im Beisein aller Richter nicht ersetzen, sondern nur neben sie treten (BAG NZA 15, 1212 [BAG 14.04.2015 - 1 AZR 223/14]). Eine telefonische Abstimmung des Vorsitzenden mit den einzelnen Richtern ist keine Beratung (BVerwG, Beschl v 13.11.17 – 4 B 23/17).

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