Rn 21

Das Verbot der willkürlichen Einrichtung eines Ausnahmegerichts für einen Einzelfall oder für eine überschaubare Zahl von individuell bestimmten Fällen abw von den die rechtsstaatliche Justiz im Verständnis des Grundgesetzes kennzeichnenden allg abstrakten und im Voraus festgelegten Zuständigkeitsregeln (dazu oben Rn 7) richtet sich an den Gesetzgeber sowie an die Exekutive, insb aber auch an die Gerichtspräsidien. Es verbietet die Schaffung von Ausnahmegerichten in Form von ›Ausnahmespruchkörpern‹. Hieraus kann indes nicht hergeleitet werden, dass Spezialspruchkörper für besondere Sachgebiete unzulässig wären, sofern die Zuständigkeit nach abstrakten Merkmalen aufgrund der jeweiligen Sachmaterie bestimmt wird (BayVerfGH NJW 84, 2813). Solche Spruchkörper für besondere Sachgebiete innerhalb eines Gerichts tragen einem Bedürfnis nach besonderer Sachkunde und Erfahrung in bestimmten Rechtsangelegenheiten Rechnung und sind keine ›Ausnahmegerichte‹. Unzulässig ist insofern nur eine Anknüpfung primär an (bestimmte) Personen oder Personengruppen. Wird durch eine gerichtsinterne Aufteilung der Zuständigkeiten nach Sachgebieten notwendiger Weise eine ganz bestimmte Personengruppe betroffen, so darf das nicht willkürlich erscheinen, sondern muss im Verständnis des Art 3 I GG eine innere Rechtfertigung in der zugeteilten Spezialmaterie finden (BayVerfGH NJW 84, 2813 [BVerfG 11.07.1984 - 1 BvL 10/83], dort zu der – bejahten – Frage, ob mit Blick auf Art 101 I GG einem bestimmten Spruchkörper alle die bürgerlichen Streitigkeiten zugewiesen werden können, an denen ›juristische Personen des Öffentlichen Rechts‹ beteiligt sind). Kündigt zB eine Anwaltskanzlei an, eine große Vielzahl im Wesentlichen gleichgerichteter Klagen gegen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei einem Gericht einzureichen und richtet das Präsidium daraufhin eine Kammer mit einer Sonderzuständigkeit für das zugrunde liegende Rechtsgebiet ein, führt dies nicht zu einem unzulässigen Ausnahmegericht iSd § 16. Es gehört vielmehr zu den Aufgaben des Präsidiums bei der Jahresgeschäftsverteilung und der sich in diesem Zusammenhang stellenden Frage der Einrichtung von Spezialkammern bereits absehbare Verfahrenseingänge zu berücksichtigen (Braunschw ZIP 20, 2420). Eine Anknüpfung der Präsidien an abstrakte Merkmale, etwa Eingangszeitpunkte, lässt es im Erg in bestimmten Fällen sogar zu, konkrete (anhängige) Verfahren bestimmten Spruchkörpern und damit letztlich auch bestimmten Richtern zuzuweisen. Mit dem Gebot des gesetzlichen Richters nach § 16 GVG vereinbar ist bspw die Einrichtung einer ›Hilfskammer‹ – sogar im laufenden Geschäftsjahr – mit Blick auf eine akut aufgetretene Überlastung eines Spruchkörpers (§ 21e III GVG) unter Zuweisung einer bestimmten Anzahl der ›ältesten‹ bei diesem anhängigen Verfahren. Eine solche Maßnahme macht die ›Hilfskammer‹ nicht zu einem ›Ausnahmegericht‹ iSv § 16 S 1 GVG (BAG NZA 99, 107 [BAG 24.03.1998 - 9 AZR 172/97]).

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