Gesetzestext

 

Die Oberlandesgerichte sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im ersten Rechtszug zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz.

A. Vorbemerkung.

 

Rn 1

Die Vorschrift ist eingefügt worden mit Wirkung v 1.11.05 durch Art 3 Nr 3 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) v 16.8.05 (BGBl I, 2437). Das KapMuG ist zum 1.11.12 durch Art 9 des Gesetzes zur Reform des KapMuG (BGBl I, 2182) novelliert und durch das Gesetz zur Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 16.10.20 bis zum 31.12.23 befristet worden (§ 28 KapMuG). Um den Aufwand und die Kosten bei gleichartigen Klagen sich geschädigt fühlender Kapitalanleger zu begrenzen und einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, soll in einem auf der Grundlage des KapMuG durchgeführten Verfahren der Haftungsgrund für die Geschädigten verbindlich festgestellt werden. § 118 begründet die sachliche Zuständigkeit des OLG für den Musterentscheid, in dem anspruchsbegründende oder -ausschließende Vorfragen in für das Prozessgericht bindender Weise festgestellt werden (§ 16 I KapMuG). Die Zuständigkeit ist als ausschließliche zu verstehen, obwohl das im Gesetz nicht zum Ausdruck kommt; im Wege teleologischer Reduktion ist überdies davon auszugehen, dass §§ 118, 119 III das OLG nicht zum Gericht des ersten Rechtszugs iSd 38, 39 ZPO machen (näher Loyal ZIP 19, 2049f). Die Effektivität des Verfahrens wird krit gesehen, weil der aufwändige Prüfungsumfang der Zulässigkeit des Musterfeststellungsantrages und die inhaltlichen Anforderungen an den Vorlagebeschluss bei Beteiligung mehrerer Kammern zu Verfahrensverzögerungen führen könnten (Erttmann/Keul WM 07, 482). Vgl zu weiteren erstinstanzlichen Zuständigkeiten des OLG § 246a AktG, Kreditinstitute-ReorganisationsgG, § 129 VerwertungsgesellschaftenG.

B. Verfahren nach dem KapMuG.

I. Verfahren vor dem Landgericht.

 

Rn 2

Die Einleitung eines Musterverfahrens setzt einen bei dem LG (§ 71 II Nr 3) anhängigen Rechtsstreit voraus, in dem Ansprüche auf Schadensersatz wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen bzw deren Verwendung oder Erfüllungsansprüche aufgrund Vertrages geltend gemacht werden, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht (§ 1 KapMuG). Dazu gehören auch öffentliche Kapitalmarktinformationen des unreglementierten sog ›Grauen Kapitalmarktes‹ (BGH MDR 08, 1057). Auch auf positive Feststellungsklagen hinsichtlich solcher Ansprüche soll das KapMuG anwendbar sein (BGHZ 207, 316). Der sog Musterfeststellungsantrag wird beim Prozessgericht gestellt (§ 2 II KapMuG). Darin sind die Feststellungsziele und die öffentlichen Kapitalmarktinformationen zu bezeichnen. Feststellungsziele können nur Rechtsfragen oder Tatsachen zu anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen sein, nicht aber der geltend gemachte Anspruch als solcher (BGH aaO). Jedes Feststellungsziel bildet einen eigenständigen Streitgegenstand des Kapitalanleger-Musterverfahrens (BGH, NJW 17, 3777 [BGH 19.09.2017 - XI ZB 17/15]), Streitigkeiten mit nur mittelbarem Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation (zB aus Anlageberatungsvertrag) scheiden als Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens aus (BGH NJW 09, 513 [BGH 30.10.2008 - III ZB 92/07]). Die Prüfung des Prozessgerichts ist beschränkt auf die Zulässigkeit des Antrags. Nach Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 3 KapMuG) macht das Prozessgericht den (zulässigen) Antrag in dem vom Bundesanzeiger eingerichteten Klageregister bekannt, in das jedermann kostenlos Einsicht nehmen kann (§ 3 II KapMuG; vgl https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Bekanntmachungen/Klagen_node.html). Die Eintragung enthält die Bezeichnung des Beklagten, des betroffenen Emittenten von Wertpapieren oder des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen, die Bezeichnung des Prozessgerichts unter Angabe des Aktenzeichens, das Feststellungsziel des Musterfeststellungsantrages, eine knappe Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhaltes sowie den Zeitpunkt des Eingangs des Musterverfahrensantrages beim Prozessgericht und der Bekanntmachung im Klageregister (§ 3 II 2 KapMuG). Mit der Eintragung in das Klageregister wird das Ursprungsverfahren unterbrochen (§ 5 KapMuG). Wenn innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Bekanntmachung der Eintragung mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt sind, hat das Prozessgericht durch unanfechtbaren Vorlagebeschluss nach § 6 I KapMuG eine Entscheidung des übergeordneten Oberlandesgerichts über das Feststellungsziel der gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge herbeizuführen. Dabei müssen die Anträge nicht in zehn verschiedenen Prozessen gestellt worden sein. Zehn gleichlautende Anträge einfacher Streitgenossen reichen aus (BGH ZIP 08, 1197 f mit zust Anm Gundermann BB 08, 1416).

II. Verfahren vor dem OLG.

 

Rn 3

Dieses richtet sich nach den Vorschriften der ZPO für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten (§ 11...

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