Gesetzestext

 

(1) Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

(2) In Verfahren auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe dürfen von den Beteiligten nicht vorgebrachte Tatsachen nur berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind, der Aufrechterhaltung der Ehe zu dienen oder wenn der Antragsteller einer Berücksichtigung nicht widerspricht.

(3) In Verfahren auf Scheidung kann das Gericht außergewöhnliche Umstände nach § 1568 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur berücksichtigen, wenn sie von dem Ehegatten, der die Scheidung ablehnt, vorgebracht worden sind.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift entspricht § 616 ZPO aF. Abs 1 enthält – wie auch bereits § 616 I ZPO aF den Grundsatz der Amtsermittlung in Ehesachen; die Formulierung entspricht § 26. Allerdings besteht im Gegensatz zu § 616 I ZPO aF (›kann auch‹) kein Ermessen des Gerichts mehr (›hat‹). Der Untersuchungsgrundsatz gilt als Leitmaxime in allen Ehesachen iSv § 121 (ThoPu/Hüßtege § 127 Rz 2; J/H/A/Markwardt § 127 Rz 1) und soll in Statussachen ermöglichen, den für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt so objektiv wie möglich festzustellen und nicht der Disposition der Beteiligten zu überlassen (vgl. Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 2; J/H/A/Markwardt § 127 Rz 1; Keidel/Weber § 127 Rz 4; MüKoFamFG/Lugani § 127 Rz 1). Die Pflicht zur Amtsermittlung gilt uneingeschränkt auch in Verfahren auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe. Abs 2 enthält die dem bisherigen § 616 II ZPO aF entsprechende Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes, allerdings beschränkt auf Verfahren auf Scheidung oder Aufhebung der Ehe. Die in Abs 3 enthaltene Regelung entspricht § 616 III ZPO aF und schränkt den Amtsermittlungsgrundsatz im Hinblick auf die ›Härteklausel‹ des § 1568 BGB in Scheidungsverfahren weiter ein.

B. Die Vorschrift im Einzelnen.

I. Amtsermittlung in Ehesachen (Abs 1).

1. Allgemeine Grundsätze.

 

Rn 2

Die Pflicht zur Amtsermittlung ist im allgemeinen Teil des FamFG als Verfahrensmaxime normiert, § 26. Diese Vorschrift ist gem § 113 I 1 in Ehesachen zwar nicht anwendbar, erhält inhaltlich aber über den mit § 26 wortgleichen § 127 Abs 1 S 1 gleichwohl Geltung. Das Gericht ist an das tatsächliche Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden, sondern hat die entscheidungserheblichen Tatsachen vAw festzustellen (zB Keidel/Weber § 127 Rz 4; Prütting/Helms/Helms § 127 Rz 2). Die Ermittlungen des Gerichts müssen auch erforderlich sein. Die Grenze der Erforderlichkeit der Ermittlungen wird durch das das öffentliche Interesse an der materiellen Richtigkeit des Ergebnisses gezogen (MüKoFamFG/Lugani § 127 Rz 11;J/H/A/Markwardt § 127 Rz 3). Die Ermittlungen müssen alle Beweismöglichkeiten erschöpfen und enden, wenn sich das Gericht eine hinreichende Überzeugung gebildet hat (Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 3). Der Amtsermittlungsgrundsatz dient nicht dazu, unschlüssige Anträge durch Ermittlungen vAw schlüssig zu machen (Prütting/Helms/Helms § 127 Rz 2; Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 3; J/H/A/Markwardt § 127 Rz 4; MüKoFamFG/Lugani § 127 Rz 13).

 

Rn 3

Die Art der Beweiserhebung steht im Ermessen des Gerichts. Es darf auch solchen Informationen nachgehen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen, die auf andere Weise als den Vortrag der beteiligten Eheleute in der Ehesache zur Kenntnis gelangt sind (zB anlässlich der Anhörung der Eheleute nach § 128, durch einen Bericht des Jugendamts oder aber Einsichtnahme in Belege, die zB im Zusammenhang mit dem Antrag auf Bewilligung von VKH oder einem weiteren Verfahren vorgelegt wurden). Auch die Hinweise eines anwaltlich nicht vertretenen Antragsgegners sind zu berücksichtigen (Prütting/Helms/Helms § 127 Rz 2). Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet es, solchen Tatsachen, die die Beteiligten nicht selbst vorgetragen haben, nur nachzugehen und/oder sie zu verwerten, nachdem sie hierzu Stellung nehmen konnten (zB Prütting/Helms/Helms § 127 Rz 2; Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 4; MüKoFamFG/Lugani § 127 Rz 14). Die allgemeine Hinweispflicht des Gerichts nach § 113 I 2 iVm § 139 ZPO besteht auch in Verfahren mit Amtsermittlung. Das Gericht hat also auf sachdienliche Anträge hinzuwirken sowie zu einem Gesichtspunkt, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 4; FAKomm-FamR/Roßmann § 127 Rz 7).

 

Rn 4

Die Pflicht zur Amtsermittlung lässt die allgemeinen Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast unberührt (Musielak/Borth/Borth/Grandel § 127 Rz 4). Der ASt trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer gültigen Ehe (Karlsr FamRZ 17, 95) und alle Tatsachen, ohne die der Richter die Überzeugung vom Gescheitertsein der Ehe nicht gewinnen kann (Staud/Rauscher § 1565 Rz 79). Vgl zur Härteklausel des § 1568 Abs 3. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 1314 BGB liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft (Nürnbg FuR 11, 587).

 

Rn 5

Wird die ...

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