Zusammenfassung

 

Art. 36 Brüssel Ia-VO(1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

(2) Jeder Berechtigte kann gemäß dem Verfahren nach Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 die Feststellung beantragen, dass keiner der in Artikel 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist.

(3) Wird die Anerkennung in einem Rechtsstreit vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Entscheidung von der Versagung der Anerkennung abhängt, verlangt, so kann dieses Gericht über die Anerkennung entscheiden.

A. Normgegenstand.

 

Rn 1

Der 1. Abschnitt (Art 36–38) des III. Kapitels der EuGVO hat die Anerkennung von Entscheidungen iSd Art 2 lit a zum Gegenstand. Hierfür trifft Art 36 I die Grundwertung, dass eine Anerkennung ipso iure, dh ohne das Erfordernis eines besonderen Verfahrens erfolgt. Die mitgliedstaatlichen Gerichte können inzident über die Anerkennung befinden (Art 36 III). Die Partei, welche Anerkennung geltend macht, muss die gemäß Art 37 maßgeblichen Urkunden vorlegen. Demgegenüber liegt die Beweislast für Tatsachen, welche die Anerkennung hindern, bei demjenigen, der sich gegen die Anerkennung wendet. Die Anerkennungsversagungsgründe des Art 45 sind zudem nach dessen eindeutigem Wortlaut nur auf Antrag zu berücksichtigen; die gegenteilige Sicht einer regelmäßigen Beachtlichkeit vAw zu Art 34 aF (vgl nur BGH NJW-RR 08, 586 [BGH 12.12.2007 - XII ZB 240/05]) ist damit überholt. In der Literatur wird allerdings mit Blick auf den ordre public eine rechtsfortbildende Einschränkung für überindividuelle Rechtsgüter erwogen, deren Verteidigung gerade nicht im Interesse eines Antragsberechtigten liegen mag, vgl Pfeiffer, ZZP 14, 409, 426. Hinsichtlich unbestrittener Forderungen lässt Art 27 der VO 805/2004/EG v 21.4.04 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen iVm Art 80 dem Gläubiger ein Wahlrecht, ob er nach der EuGVO vorgehen will.

B. Anerkennung.

I. Automatische Anerkennung (Abs 1).

 

Rn 2

Art 36 I statuiert den Grundsatz, dass die Anerkennung von Entscheidungen iSd Art 2 lit a ohne weiteres Verfahren ipso iure erfolgt, wenn die Anwendung der EuGVO eröffnet ist.

II. Wirkung der Anerkennung.

1. Anzuerkennende Entscheidungswirkungen.

 

Rn 3

Der Begriff der Anerkennung ist in der Verordnung nicht näher definiert. Der EuGH geht traditionell von einer Wirkungserstreckung (näher zum Theorienstreit Kropholler/v Hein Vor Art 33 Rz 9; Rauscher/Leible Rz 4) dergestalt aus, dass eine nach Art 36 ›anerkannte ausländische Entscheidung grds im ersuchten Staat dieselbe Wirkung entfalten muss wie im Ursprungsstaat‹ (EuGH Rs 145/86 – Hoffmann Rz 11, NJW 89, 663, 664). Hierfür streitet auch Art 54 I UAbs 2 (vgl hierzu Pfeiffer ZZP 14, 409, 427).

2. Umfang der Anerkennung.

 

Rn 4

Der wichtigste Anerkennungsgegenstand ist die materielle Rechtskraft, auch soweit diese bei ausländischen Urteilen weiter gefasst ist (BGH FamRZ 08, 400). Nach dem Modell der Wirkungserstreckung müssten die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft prima facie aus dem Recht des Urteilsstaats folgen. Der EuGH (C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung/Samskip, BeckEuRS 12, 691456) vertritt allerdings einen autonom unionsrechtlichen Rechtskraftbegriff. Die Wirkungserstreckung hat zudem zur Folge, dass auch im Anerkennungsstaat die Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung einer erneuten Klage auf Leistung entgegensteht; diese ist ggf als unzulässig abzuweisen (EuGH Rs 42/76 – Wolf/Cox NJW 77, 495). Weiterhin erstreckt sich die Anerkennung auch auf die Präklusionswirkung und sogar auf die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen selbst dann, wenn das IPR des Urteilsstaates und dasjenige des Anerkennungsstaates ein anderes Sachstatut für maßgeblich erachten (HK-ZPO/Dörner Rz 6). Die Anerkennungswirkung umfasst ferner die Interventions- und die Streitverkündungswirkung jeweils in dem Umfang, in dem sich eine entsprechende Wirkung aus dem Recht des Urteilsstaates ergibt. Dass der Gerichtsstand der Interventionsklage im ersuchten Staat nach Art 65 I nicht gegeben sein mag, ist dabei unerheblich. Hinsichtlich der Vollstreckungswirkung ausländischer Urteile gelten die Art 39 ff.

III. Selbstständiges Anerkennungsverfahren (Abs 2).

 

Rn 5

Aus dem Modell der Anerkennung ipso iure (Abs 1) folgt, dass jedes angerufene Gericht über die Anerkennung als Vorfrage eigenständig entscheiden muss, ohne an die Inzidentanerkennung durch andere Gerichte gebunden zu sein. Dies birgt die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Es kann daher – insb bei nicht vollstreckungsfähigen Entscheidungen (Kropholler/v Hein Art 33 Rz 2) – ein Bedürfnis bestehen, die Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Entscheids mit Bindungswirkung feststellen zu lassen. Dem trägt Abs 2 Rechnung, indem er auf Antrag die Feststellung des Nichteingreifens von Versagungsgründen ermöglicht. Wie sich aus dem Wortlaut von Abs 2 ergibt, kann die Feststellung beantragt werden, ›dass keiner der in Artikel 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist‹. Abs 2 ermöglicht damit nur einen hinsichtlich der Versagungsgründe negativen (für die Anerkennung positiven) Fes...

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