Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Erfüllungsfiktion. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Erstattungsforderung. Leistungsausschluss wegen Bezug einer Altersarbeitsrente der Russischen Föderation. ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rücknahme einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Vergangenheit und Erstattung erbrachter Leistungen wegen des Bezugs einer (hier: russischen) Rente wegen Alters steht kein Erstattungsanspruch des SGB II-Trägers gegen den Sozialhilfeträger entgegen.

 

Orientierungssatz

Az beim LSG Chemnitz: L 8 AS 1078/19

 

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Umstritten in den verbundenen vierzehn Verfahren sind Rücknahme der Leistungsbewilligungen und Erstattung erbrachter Leistungen für August 2007 bis Januar 2014 wegen des Bezugs einer russischen Rente.

Die am …1948 in Russland geborene Klägerin ist (auch) deutsche Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben ist sie verheiratet, seit Januar 2007 getrennt lebend, deutschsprachig aufgewachsen und lebt sie seit 1996 als Spätaussiedlerin in Deutschland, ohne ihre russische Staatsangehörigkeit verloren zu haben.

Ab dem 4.11.2003 wurde der Klägerin vom Rentenfonds der Russischen Föderation (RF) - Staatliche Einrichtung - (nachfolgend: Rentenfonds) auf der Grundlage eines Gesetzes vom 17.12.2001 "Über Arbeitsrenten in der RF" eine Altersrente bewilligt, die bis Juni 2010 auf ein russisches Konto der Klägerin überwiesen wurde. Von Juli 2010 bis Dezember 2013 ist die Rente nach Angaben der Klägerin auf ein russisches Konto ihrer in Russland lebenden Tochter überwiesen worden. Seit Januar 2014 wird die Rente auf Antrag der Klägerin vom 23.1.2014 auf deren deutsches Girokonto überwiesen. Die Höhe der Altersrente betrug 2.185,56 Rubel für August 2003 (nach Ermittlungen der Klägerin = 62,70 Euro) und erhöhte sich sukzessive auf 6.842,31 Rubel für Dezember 2013 (nach Ermittlungen der Klägerin = 152,02 Euro). Für das erste Quartal 2014 wurden der Klägerin am 7.4.2014 insgesamt 436,61 Euro überwiesen.

Seit Februar 2014 bezieht die Klägerin Regelaltersrente nach deutschem Recht (monatlicher Zahlbetrag ab Februar 2014 = 168,87 Euro).

Von August 2007 bis Januar 2014 bezog die Klägerin vom Beklagten Alg II. Weder im Erstantrag vom 7.8.2007 noch in den Fortzahlungsanträgen gab sie gegenüber dem Beklagten die russische Altersrente an. Die Antragstellungen erfolgten nach Angaben der Klägerin stets ohne Hilfe Dritter.

Seit Februar 2014 bezieht die Klägerin vom beigeladenen Sozialhilfeträger Grundsicherung im Alter.

Am 14.2.2014 informierte der Beigeladene den Beklagten ua über den Bezug der russischen Altersrente seit 2003. Nach Anhörung der Klägerin für die einzelnen Bewilligungszeiten von August 2007 bis Januar 2014 (Schreiben vom 11.7.2014) nahm der Beklagte mit vierzehn Bescheiden vom 13.8.2014 konkret benannte Entscheidungen über die Leistungsbewilligungen vom 1.8.2007 bis 31.1.2014 jeweils "ganz" zurück und forderte für die jeweiligen Bewilligungszeiten die Erstattung der erbrachten Leistungen sowie von Beiträgen für Kranken- und Pflegeversicherung (Gesamtsumme nach Berechnung des Beklagten: 53.009,91 Euro). Die Rücknahmen seien erfolgt, da der Klägerin eine russische Rente zuerkannt worden sei und die Klägerin bei ihren Antragstellungen zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe.

Dagegen erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 10. und 11.9.2014 vierzehn Widersprüche. Der Rentenbezug in Russland sei zutreffend. Die unterbliebene Angabe beruhe auf dem mangelnden Zufluss, da die Rente von der Tochter der Klägerin vereinnahmt worden sei. Im Übrigen sei die Rückforderung begrenzt, da der Klägerin den Leistungsausschluss weder kannte noch wissen musste und ihr deswegen Leistungen nach dem SGB XII zustünden.

Mit vierzehn Widerspruchsbescheiden vom 29.12.2014 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Die Klägerin sei nach § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen gewesen, da die russische Rente in ihrem Kerngehalt mit einer Altersrente nach deutschen Recht vergleichbar und ausgezahlt worden sei. Mangelnde Zugriffsmöglichkeiten auf die Rente seien nicht nachgewiesen worden. Deren Verbrauch durch die Klägerin oder deren Tochter sei unmaßgeblich. Die Klägerin habe gewusst, dass die Bewilligung der russischen Rente zum Wegfall des Leistungsanspruchs führe, sich zumindest grob fahrlässig in Unkenntnis gehalten. Weiterhin habe sie zumindest grob fahrlässig, wenn nicht gar bewusst, gegen ihre gesetzliche Pflicht verstoßen, die Bewilligung der russischen Rente mitzuteilen. Daher seien die Bewilligungen der Leistungen aufzuheben sowie die erbrachten Leistungen und Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erstatten.

Mit Telefax vom 29.12.2014 informierte der Beklagte den Bevollmächtigten der Klägerin über den Erlass der Widers...

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