Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. Einkommenseinsatz. Kindergeld für volljähriges behindertes Kind. Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 -Nachbewilligungszeitraum

 

Orientierungssatz

1. Für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Zeit der Anwendung des GSiG ist nicht § 48 VwVfG NW 1999, sondern § 44 SGB 10 als Anspruchsgrundlage einschlägig. Es ist unerheblich, dass das GSiG erst nach dem Inkrafttreten des SGB 10 durch § 28a SGB 1 und ohne die erforderliche Zustimmung des Bundesrates nach § 1 Abs 1 S 2 SGB 10 in das SGB aufgenommen wurde, denn die Grundsicherung war bereits begrifflich von der Sozialhilfe in § 9 SGB 1 als besonderer Leistungstypus der Sozialhilfe umfasst.

2. Die Gründe, die zur Rechtsprechung des BVerwG zur Nichtanwendbarkeit des § 44 SGB 10 auf die Sozialhilfe geführt haben (vgl BVerwG vom 15.12.1983 - 5 C 65/82 = BVerwGE 68, 285), sind für die Grundsicherung nicht einschlägig. Anders als der Regelfall in der Sozialhilfe kann bei der Grundsicherung zur Zeit der Rücknahme nach § 44 Abs 1 SGB 10 und der Leistungserbringung nach § 44 Abs 4 SGB 10 durchaus ein Anspruch auf die Grundsicherungsleistung noch bestehen, weil die Grundsicherung nicht am sozialhilferechtlichen Bedarf ausgerichtet ist (vgl VGH München vom 13.4.2005 - 12 ZB 05/262 = FEVS 56, 574).

3. Das Kindergeld für einen im Haushalt lebenden volljährigen Behinderten ist bei der Bemessung von Grundsicherungsleistungen nicht als dessen Einkommen zu werten, wobei es auch nicht darauf ankommt, ob das Geld dem Kind von dem kindergeldberechtigten Elternteil zugewendet worden ist (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 28/04 = NJW 2005, 2873).

4. Bei der Frage nach dem Zeitraum der Nachbewilligung kommt es nicht auf das Entscheidungsdatum eines höchstinstanzlichen Urteils an, da sich die Rechtswidrigkeit von Bewilligungsbescheiden nicht erst nach Kenntnis des höchstinstanzlichen Urteils ergibt, denn auf eine schuldhaft falsche Rechtsanwendung der Behörde stellt § 44 SGB 10 nicht ab.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.08.2008; Aktenzeichen B 8 SO 26/07 R)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung des Kindergeldes für die Zeit von Januar 2003 bis einschließlich August 2005.

Wegen ihrer Beeinträchtigungen ist für die ... 1975 geborene Klägerin von der Versorgungsbehörde einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG", "B", "H" und "RF" und von der Krankenversicherung die Pflegestufe 3 anerkannt worden. Die Klägerin lebt bei ihren Eltern und hat seit April 1997 eine Festanstellung in einer Behindertenwerkstatt der Gemeinnützigen Werkstätten K GmbH.

Die Klägerin bezog Grundsicherungsleistung im Alter und bei Erwerbsminderung in der Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2004 nach dem - bis Ende 2004 geltenden - GSiG und seit dem 01.01.2005 nach dem - das GSiG ablösenden - Vierten Kapitel des SGB XII. Hierbei wurde - neben dem berücksichtigungsfähigen Werkstattlohn - das an die Eltern gezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154,- Euro als Einkommen der Klägerin berücksichtigt. Aufgrund einer Entscheidung des BVerwG aus April 2005, wonach das Kindergeld für einen im Haushalt lebenden volljährigen Behinderten bei der Bemessung von Grundsicherungsleistungen nicht als dessen Einkommen zu werten ist, wurde bei der Klägerin das Kindergeld ab dem Monat September 2005 nicht mehr berücksichtigt. Mit Schreiben vom 06.04.2006 - bei der Beklagten am 07.04.2006 eingegangen - beantragte der Betreuer der Klägerin die Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe des in der Vergangenheit angerechneten Kindergeldes. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.04.2006 ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 02.05.2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass in der Vergangenheit die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit von Kindergeld als Einkommen bei volljährigen Grundsicherungsempfängern uneinheitlich gewesen sei, die Klägerin zudem die Bewilligungsbescheide für den entscheidungserheblichen Zeitraum bestandskräftig habe werden lassen und bei der Grundsicherung selbst bei in der Vergangenheit fehlerhaft gewährten Leistungen eine Aufhebung bestandskräftiger Bescheide verbunden mit einer entsprechender Nachzahlung nach § 48 VwVfG NRW bzw. § 44 SGB X wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes ausscheide.

Für die Klägerin ist beim Sozialgericht Köln am 04.12.2006 Klage erhoben worden. Zur Begründung stützt die Klägerseite erneut unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG die geforderte Nachzahlung auf eine Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide nach § 44 SGB X.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2006 - und unter Abänderung der für die Zeit vom 01....

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