Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallkausalität. Grundsätze der Beweiswürdigung. Unfall am Arbeitsplatz. Unfall aus unerklärten Gründen. objektivierbare Handlungstendenz. Abgrenzung zur Wegeunfallversicherung. Beweiserleichterung. keine quasi Beweislastumkehr. Sturz am konkreten Arbeitsplatz. schweres Schädel-Hirn-Trauma

 

Leitsatz (amtlich)

1. Abgrenzung des Schutzbereich Beschäftigtenunfallversicherung zum Wegeunfall.

2. Die Grundsätze bei der Beweiswürdigung (Beweiserleichterung) sind in den Fällen, in denen ein Versicherter alleine am konkreten Arbeitsplatz unter ungeklärten Umständen verunglückt, weiterhin anzuwenden.

3. Es ist keine Änderung in der Rechtsprechung des BSG eingetreten. Der Schutzbereich der Beschäftigtenunfallversicherung unterscheidet sich insoweit erheblich von der Wegeunfallversicherung (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 55).

4. Hat sich der Versicherte am Arbeitsplatz aufgehalten, sprechen die objektiven Umstände dafür, dass er infolge seiner versicherten Tätigkeit und mit der entsprechenden Handlungstendenz ein Unfallereignis erlitten hat. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der „allein tätige“ Versicherte aus Ungeschicklichkeit, aus Versehen über eine Stufe oder über die eigenen Füße gestolpert oder sogar tödlich verunglückt, auch wenn es keine Zeugen für das Unfallereignis und die versicherte Tätigkeit gibt.

5. Es sind keine Tendenzen in den aktuellen Entscheidungen des BSG erkennbar, eine quasi Beweislastumkehr zulasten der Versicherten für die Beschäftigtenunfallversicherung zu begründen.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, der Beklagten einen Betrag in Höhe von 48,57 Euro zu erstatten.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird auf 176.065,23 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Erstattungsstreitverfahren über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles.

Die Klägerin ist der zuständige Unfallversicherungsträger, die Beklagte der zuständige Krankenversicherungsträger für die verunfallte Frau S. (im Folgenden: Verletzte). Die 1939 geborene Verletzte wurde nach der Unfallanzeige vom 9.5.2017 am 5.5.2017 auf dem Boden sitzend neben dem Sakramentsaltar in der Pfarrkirche M. aufgefunden. Sie war bei Bewusstsein, schien jedoch ein wenig verwirrt. Sie konnte nicht aufstehen, es wurde vorsorglich ein Rettungsdienst benachrichtigt, der nach ca. 10 Minuten eintraf. Sie kam ins Krankenhaus und es wurde ein Schädelbruch festgestellt und operativ versorgt.

Die Ermittlungen der Klägerin ergaben unter anderem, dass die Verletzte auf Stundenbasis bei der Pfarreien-Gemeinschaft K. beschäftigt war. Am Unfalltage sei der Mesner im Urlaub gewesen. Neben der Verletzten hätte ein Wischmopp abgestanden, da sie wischen wollte. Es fanden sich weder eine Leiter noch ein Stuhl in der Nähe; beim Altar befindet sich eine Stufe. Die Verletzte hätte nicht geblutet. In der Verwaltungsakte der Klägerin befinden sich auf den Seiten 66-69 Bilder der Unfallstelle.

In einem Bericht zur Unfalluntersuchung vom 4.7.2017 wurde Frau M1 (Sekretärin der Pfarrgemeinde), die die Verletzte gefunden hatte, zum Sachverhalt befragt und gab an, weil der Mesner im Urlaub gewesen war, sei die Verletzte am Unfalltag in ihrer Funktion als Aushilfsmesnerin tätig gewesen. Am Unfalltag gab es von 7:30 Uhr bis 8:00 Uhr eine Gebetsstunde. In dieser Gebetsstunde hätte eine Sammlung „Miteinander teilen“ von Misereor stattgefunden. Frau M1 wollte von der Verletzten wissen, wie hoch der gesammelte Geldbetrag gewesen sei, weil sie dies im Pfarrbrief veröffentlichen wollte. Den Pfarrbrief wollte sie am Vormittag des Unfalltages noch drucken. Deshalb sei sie in die Pfarrkirche gegangen, um die nötigen Informationen von der Verletzten zu erhalten. In der Pfarrkirche fand sie die Verletzte dann auf dem Boden sitzend rechts neben dem rechten Seitenaltar vor. Die Brille der Verletzten sei auf ihrem Kopf gewesen. Links neben der Verletzten lag ein Mopp vor dem rechten Seitenaltar. Die Verletzte konnte sich nicht an irgendetwas vom Unfalltage bzw. vom Unfallgeschehen erinnern.

Mit Bescheid vom 21.9.2017 lehnte die Klägerin die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall gegenüber der Verletzten ab. Zur Begründung führte sie aus, die Verletzte sei am 5.5.2017 auf dem Boden liegend gefunden worden. Es sei vermutet worden, dass sie als angestellte Mesnerin beim Putzen der Kirche gestürzt sei und sich dabei einen Schädelbruch zugezogen hätte. An den Hergang des Sturzes könne sich die Verletzte nicht mehr erinnern. Sie sei neben dem Altar sitzend aufgefunden worden, ein Wischmopp hätte neben ihr gelegen. Besondere Betriebsgefahren wie Leitern oder Stufen seien nicht vorhanden gewesen. Es hätte nicht abschließend geklärt werden können, wie es zu der Verletzung gekommen sei.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müsse die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Unfall sowohl objektiv als auc...

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