Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Kostenübernahme für die patientenindividuelle Herstellung von Arzneimitteln in einer Krankenhausapotheke. Berücksichtigung der Umsatzsteuer bei der Kostenerstattung. Erstattungsanspruch der Krankenkasse bei nachträglichem Wegfall der Umsatzsteuerpflicht

 

Orientierungssatz

Wurde in einem Vertrag zwischen einen Krankenhaus und einer gesetzlichen Krankenkasse über die Kostenübernahme für die patientenindividuelle Herstellung von Arzneimitteln vereinbart, dass auch Umsatzsteuerbeträge zu erstatten sind, die für die Herstellung tatsächlich zu entrichten sind und dass dieser Anspruch auf Umsatzsteuer entfällt, soweit die Umsatzsteuerpflicht nicht besteht, so ist auch bei einem nachträglichen Wegfall der Umsatzsteuerpflicht der zuvor auf die Umsatzsteuer von der Krankenkasse geleistete Betrag an diese zu erstatten. Dabei bleiben Vorsteuerbeträge des Krankenhauses bei der Ermittlung des Erstattungsbetrages unberücksichtigt, sodass der Erstattungsanspruch den vollen Betrag der für die Leistung berechneten Umsatzsteuer umfasst.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 614.310,60 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 614.310,60 EUR.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rückerstattung der von der Klägerin für individuell hergestellte Arzneimittel in den Jahren 2009 bis 2017 gezahlten Umsatzsteuer (USt).

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts ein Universitätsklinikum, das ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenes Krankenhaus ist mit angeschlossener Krankenhausapotheke. Die klinikumseigene Apotheke (im Folgenden: Krankenhausapotheke) der Beklagten stellte individuell für Versicherte der klagenden Krankenkasse (KK) Arzneimittelzubereitungen her und gab sie an diese zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus der Beklagten durch deren Krankenhausärzte ab.

Die Abgabe dieser Arzneimittel an die Versicherten der Klägerin erfolgte auf der Grundlage von Vereinbarungen gemäß § 129a SGB V.

Die "Vereinbarung für die Krankenhausapotheke gemäß § 129" vom 30.12.2004 zwischen dem Krankenhausträger und der AOK Rheinland, dem BKK Landesverband Nordhein-Westfalen, der IKK Nordrhein, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Nordrhein-Westfalen, der Bundesknappschaft Bochum, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V., dem AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V. (Arzneimittelpreisvereinbarung, im Folgenden: AMPV 2005) normiert in ihrem § 5 Absatz 1 Satz 1 "Preisberechnung", dass sich die Regelungen der Preisberechnung aus der Anlage 1 ergeben, die Bestandteil der Vereinbarung sei. Die Anlage 1 bestimmt in Absatz 6 und Absatz 7 und 9 für Rezepturen:

"Die bei der Herstellung von Rezepturen benötigten Arzneimittel, Trägerlösungen, Hilfsmittel, etc. sind grundsätzlich aus wirtschaftlichen Packungsgrößen (z. B. Klinikverpackungen) zu entnehmen und anteilig zu berechnen. Abweichungen von dieser Vorgehensweise müssen im Einzelfall begründet sein."

"Der pauschale Arbeitspreis für Rezepturen enthält die entsprechenden Sachkosten wie Spritzen, Desinfektionsmittel, Handschuhe, die Dokumentation und Kosten der Entsorgung." "Die Preisberechnung der Rezepturen ist auf der Vorderseite des Verordnungsblattes auszuweisen."

Die im Wesentlichen gleichen Vertragsparteien haben ab 2011 eine weitere Vereinbarung für Krankenhausapotheken geschlossen (im Folgenden AMPV 2011).

§ 5, der mit "Preisberechnung" überschrieben ist, verweist in seinem Absatz 1 Satz 1 erneut auf die Anlagen 1 und 2. Nr. 5 und 6 regeln die Preisbildung von Zubereitungen bzw. zytostatikahaltigen parenteralen Lösungen. Für die Umsatzsteuer bestimmt Nr. 13:

"Den nach den Nummer 1 bis 11 ermittelten Abrechnungspreisen der Anlage 1 ist die Umsatzsteuer hinzuzufügen. Der Herstellerrabatt nach § 130a SGB V (ohne Rabatt nach Absatz 8) wird nach Ermittlung des Abrechnungspreises mit Umsatzsteuer abgezogen. Die Umsatzsteuer ist in der Abrechnung auszuweisen. Der Ansatz der Umsatzsteuer entfällt, soweit Umsatzsteuerpflicht nicht besteht."

Die ab 01.01.2012 gültige, zwischen den im Wesentlichen gleichen Vertragsparteien geschlossene AMPV 2012 ist in den genannten Bestimmungen wortgleich zur AMPV 2011 (mit Ausnahme einer zusätzlichen Nummer 12 bei den Abrechnungspositionen).

Die Beklagte rechnete ab 2009 gegenüber der Klägerin Rezepturen, insbesondere Zytostatikazubereitungen und parenterale Lösungsfolinate, die Versicherten der Klägerin ambulant im Krankenhaus der Beklagten verabreicht wurden, nach Maßgabe der vorgenannten Berechnungsgrundlage ab. Zu dieser Preisgestaltung wurde eine Umsatzsteuer in Höhe von 19 % hinzugefügt. In den den Forderungen der Klägerin zu Grunde liegenden Rechnungen ist die Umsatzsteuer nicht nach § 14c Absatz 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (USt...

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