Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. pflegebedürftiger Versicherter in vollstationärer Pflege. Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl für regelmäßige Ausflüge mit Angehörigen

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl für regelmäßige Ausflüge mit Angehörigen außerhalb des Heimgeländes ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Versicherte vollstationär gepflegt wird und damit zu rechnen ist, dass das Hilfsmittel nach seiner Bereitstellung faktisch auch im Pflegebetrieb eingesetzt werden wird.

2. Nach Sinn und Zweck des § 33 Abs 1 S 2 SGB 5 ist eine Gewichtung danach, ob und zu welchem Anteil ein Rollstuhl nach seiner Auslieferung an den Versicherten voraussichtlich zur Deckung der von der Krankenkasse durch Mobilitätshilfen abzusichernden Grundbedürfnisse und zu welchem Anteil er auch für pflegerische Verrichtungen eingesetzt werden wird, kein Raum, wenn ohne die Bereitstellung des Hilfsmittels das Recht des Versicherten auf Erschließung eines körperlichen Freiraums nicht verwirklicht werden kann.

3. Ein pflegebedürftiger Versicherter kann von seiner Krankenkasse nicht darauf verwiesen werden, dass er sich zur Befriedigung seines Grundbedürfnisses nach Mobilität bei Spazierfahrten nur auf das Gelände des Pflegeheims beschränken muss (vgl BSG vom 10.2.2000 - B 3 KR 26/99 R = BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37 ).

 

Tenor

I. Der Bescheid vom 28.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Rollstuhl mit Sicherheitsgurt zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einem Rollstuhl.

Der 1930 geborene Kläger leidet seit einem im Juni 2008 erlittenen Schlaganfall an einer Halbseitenlähmung mit Einschränkungen der Gehfähigkeit und erheblichen geistigen Einschränkungen. Der Kläger lebt in einem Pflegeheim und bezieht Leistungen vollstationären Pflege, wobei die Einstufung in die Pflegestufe II oder III zur Zeit Gegenstand eines weiteren sozialgerichtlichen Verfahrens ist. Ausweislich zweier Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 03.09.2008 und vom 11.11.2008 wird er zu den Verrichtungen im Pflegeheim vorwiegend im Rollstuhl gefahren.

Am 25.08.2008 beantragte die Tochter des Klägers unter Beifügung einer ärztlichen Verordnung der Hausärztin Dr. med. D. vom 17.08.2008, einer Hilfsmittelempfehlung des Chefarztes der Neurologischen Abteilung der Klinik T., Dr. med. T., und eines Kostenvoranschlages der Sanitätshaus B. über einen Rollstuhl C. nebst Zubehör für 521,60 EUR die Versorgung des Klägers mit einem Rollstuhl.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.08.2008 ab. Der Kläger lebe in einer stationären Pflegeeinrichtung, zu deren Leistungen auch die Bereitstellung eines für den üblichen Pflegebetrieb notwendigen Rollstuhls als Heimausstattung gehöre und von der Pflegevergütung mit abgegolten sei. Im Falle des Klägers diene der Rollstuhl vorwiegend dem Transport in der Pflegeeinrichtung und damit der Durchführung grundpflegerischer Maßnahmen.

Den am 03.09.2008 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch begründete die Tochter des Klägers damit, dass der Rollstuhl benötigt werde, um den Kläger mehrmals wöchentlich durch Geschwister, Verwandte und Freunde auch außerhalb des Heimgeländes spazieren zu fahren, wo er sich nicht mit dem Rollator fortbewegen könne. Der Kläger habe ein Recht, auch weiterhin am gesellschaftlichen und familiären Leben außerhalb des Heims teilzunehmen. Er benötige einen seinen Körpermaßen angepassten Rollstuhl, was bei dem im Heim ausgeborgten Rollstuhl nicht der Fall sei.

Die von der Beklagten hinzugezogene Hilfsmittelberaterin stellte anlässlich eines Besuches in der Pflegeeinrichtung am 15.09.2008 fest, dass der Kläger bei deutlich gebessertem Zustand allein aufstehen könne und im Heim am Rollator umhergehe. Für längere Ausfahrten mit Angehörigen stehe ein Faltrollstuhl des Heimes zur Verfügung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2008 zurück. Nach den Feststellungen der Hilfsmittelberaterin sei der Kläger im gesamten Wohn- und Heimbereich mit dem Rollator selbständig gehfähig, Spazierfahrten mit Angehörigen seien mit dem heimeigenen Rollstuhl möglich. Dem Grundbedürfnis nach Mobilität sei damit entsprochen.

Hiergegen richtet sich die am 02.01.2009 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 30.12.2008, mit der die Bevollmächtigte des Klägers einen Anspruch auf Bereitstellung eines individuellen Rollstuhls weiter verfolgt. Der Kläger sei inzwischen nicht mehr mit dem Rollator selbständig gehfähig. Erforderlich sei ein auf seine Körpermaße abgestimmter Rollstuhl. Der vom Pflegeheim zur Verfügung gestellte Leihrollstuhl sei ursprünglich auf die Maße eines anderen Versicherten ausgerichtet gewesen und deshalb keine Lösung; die Körperhaltung des Klägers wer...

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