Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschluss. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge. Familiennachzug zu einem minderjährigen Unionsbürger

 

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird nach Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegt:

Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach eine Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Personensorge lediglich dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen inländischen Kindes zu erteilen ist, wenn dieses seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, was zur Folge hat, dass Unionsbürger eines Mitgliedsstaates einen solchen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Ausübung der Personensorge bei einem minderjährigen Unionsbürger mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates als der des Inlandsstaats nicht haben?

 

Gründe

Die Kammer setzt das Verfahren entsprechend § 114 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus und legt dem EuGH die im Tenor genannten Frage nach Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vor.

A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

I. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger einen Anspruch auf Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 30.05.2020 bis 28.02.2021 hat. Dafür ist nach den nationalen Vorschriften der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. b) SGB II und § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII in den maßgebenden Fassungen notwendig, dass er über ein Aufenthaltsrecht verfügt, welches sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist polnischer Staatsbürger. Er ist am 00.00.2020 gemeinsam mit seiner nichtehelichen Lebensgefährtin Frau M aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie war zuvor am 00.00.2015 aus Polen nach Deutschland eingereist und befand sich nur für einen zeitlich kurzen Aufenthalt - aufgrund einer Auseinandersetzung mit ihrem am 00.00.0000 verstorbenen Ehemann - bei einer Freundin in den Niederlanden. Auch Frau M ist polnische Staatsbürgerin. Am 00.000.0000 wurde der gemeinsame nichteheliche Sohn, Herr O M, in C geboren. Auch er hat die polnische Staatsbürgerschaft.

Der Kläger sowie Frau und Herr M beantragten bei dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 03.12.2020 und 21.12.2020 bewilligte der Beklagte Frau M Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab der Einreise am 00.00.2020. Herrn O M bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit ab der Geburt am 00.00.0000. Bezüglich des Klägers teilte der Beklagte zunächst mit, dass dieser als ausgeschlossene Person in der Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werde. Eine abschließende Klärung der Leistungsbewilligung könne noch nicht erfolgen. Mit Ablehnungsbescheid vom 21.04.2021 lehnte der Beklagte den Anspruch des Klägers sodann in der Folgezeit für den streitbefangenen Zeitraum vom 00.00.2020 bis 00.00.2021 ab. Zur Begründung führte er an, dass der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe, da er nur über ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche verfüge. Ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche, aus welchem sich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ableiten ließe, liege nicht vor. Für den Zeitraum vor der Geburt des unehelichen Sohnes liege kein weiteres Aufenthaltsrechts vor. Auch für den Zeitraum nach der Geburt ergebe sich ein solches Aufenthaltsrecht nicht. Ein solches folge insbesondere nicht aus § 11 Abs. 14 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) in Verbindung mit § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Der Kläger legte gegen diese Ablehnungsentscheidung fristgemäß Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2021 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er erneut an, dass ein Aufenthaltsrecht nicht aus § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG folge. Frau M befinde sich bereits seit mehr als fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und sei daueraufenthaltsberechtigt. Der Kläger sei am 00.00.2020 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ferner sei er auch kein Familienangehöriger im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU. Auch aus § 4a Abs. 4 FreizügG/EU folge ein Aufenthaltsrecht nicht. Frau M habe kein Aufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU erworben. Sie sei während ihres gesamten Aufenthalts lediglich knapp sieben Monate erwerbstätig gewesen. Auch liege eine volle Erwerbsminderung nicht vor. Weiterhin folge das Aufenthaltsrecht auch nicht aus § 11 Abs. 14 S. 1 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG, weil sich das Recht allein auf minderjährige de...

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