Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Zuwendungsverbot nach § 129 Abs 3 S 3 SGB 5. Verhängung von Vertragsstrafen. Aussetzung der Versorgungsberechtigung bis zur vollständigen Begleichung. einstweiliger Rechtsschutz. hier: „Treuebonus“ einer niederländischen Versandapotheke auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Kunden in Deutschland

 

Orientierungssatz

1. Zum Antrag einer in den Niederlanden ansässigen Versandapotheke, die Arzneimittel auch an Kunden in Deutschland verkauft und liefert und die gesetzlich Versicherten Zuwendungen bei der Abgabe verordneter Arzneimittel in Form eines „Treuebonus“ gewährt, auf vorläufige Feststellung, dass keine Sanktionen iSd durch das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (juris: VOApoStärkG) vom 9.12.2020 (BGBl I 2020, 2870) eingeführten Regelungen des § 129 Abs 3 S 3 SGB 5 und § 129 Abs 4 S 4 und 5 SGB 5 vorgenommen werden dürfen.

2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt die Gefährdung einer Rechtsposition voraus, die der Rechtsschutzsuchende nicht aus eigener Kraft vermeiden kann. Daran fehlt es aber, wenn der Antragsteller selbst das tun bzw unterlassen kann, was er durch die einstweilige Anordnung für rechtmäßig erklärt haben will. Dies gilt zumindest dann, wenn sich aus diesem Verhalten selbst kein unzumutbarer Nachteil ergibt. Dies ist vorliegend zu bejahen, da nicht glaubhaft gemacht wurde, dass der Antragstellerin durch die Einhaltung des Boniverbots nicht unerhebliche Umsatz- und Ertragseinbußen drohen.

 

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts und betreibt eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke, die Arzneimittel auch an Kunden in Deutschland verkauft und liefert.

Die Antragsgegnerin wurde zum 01.10.2021 aufgrund des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V (Stand: 01.10.2021, im Folgenden: der Rahmenvertrag) gebildet. Der Rahmenvertrag wurde durch den Beigeladenen zu 1) und den Beigeladenen zu 2) geschlossen, wobei der Beigeladene zu 2) als die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete Spitzenorganisation der Apotheker fungierte. Die Antragstellerin wird mit jeweils drei Mitgliedern der Beigeladenen besetzt und wurde als die für die Ahndung von Verstößen gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V zuständige Stelle bestimmt.

Die Antragstellerin trat dem Rahmenvertrag bei.

Mit dem am 28.10.2021 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin die vorläufige Feststellung, dass die Antragsgegnerin keine Ahndung von Verstößen gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V vornehmen dürfe.

Sie trägt vor:

In dem Zeitraum zwischen dem Urteil des EuGH vom 19.10.2016 („Deutsche Parkinson-Vereinigung“) und dem Inkrafttreten des Vor-Ort-Apotheken-Stärken-Gesetz (VOASG; in Kraft seit dem 15.12.2020) habe die Antragstellerin ihren Kunden bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf verschiedene Weise Vergünstigungen gewährt und mit diesen Zuwendungen geworben. Für jedes Rezept mit mindestens einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel sei etwa ein Mindestbonus von 2,50 € gewährt worden, maximal 15 € je Rezept. Dieser „Rezeptbonus" sei entweder direkt mit dem Rechnungsbetrag für gleichzeitig erworbene nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel oder auf dem Kundenkonto gutgeschrieben und ab einem Betrag von 30 € ausgezahlt worden.

Die Antragstellerin möchte gesetzlich Versicherten weiter derartige Zuwendungen bei der Abgabe von verordneten Arzneimitteln gewähren und hiermit werben. Am 17.11.2021 habe sie eine Werbeaktion gegenüber 145.000 ihrer Rx-Bestandskunden gestartet. Es handele sich um eine Erweiterung ihres bisherigen „Treueprogramms“. Der Treuebonus sei verdoppelt worden. Die Aktion laufe bis zum 31.12.2021.

Die Antragstellerin sei auf die Klärung der Rechtslage im Eilverfahren angewiesen. Sie könne nicht bis zur Klärung der Hauptsache auf Preiswerbung verzichten und sie könne nicht eine Sanktionierung in vollkommen unbegrenztem und unklarem Ausmaß abwarten.

Es drohe die Verhängung von Vertragsstrafen in Millionenhöhe innerhalb einiger Monate. Im Hinblick auf die in § 129 Abs. 4 Satz 4 SGB V und entsprechend in § 27 Abs. 4 Satz 1 des Rahmenvertrages geregelte Gesamtvertragsstrafe (250.000 €) sei nicht absehbar, wann die „Gleichartigkeit“ und der „unmittelbare zeitliche Zusammenhang“ der Verstöße anzunehmen seien. Es sei demnach nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin aufgrund mehrerer an verschiedene Kunden gewährte Preisnachlässe mehrere Vertragsstrafen von jeweils bis zu 50.000 € verhängen würde. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin bei restriktiver Handhabe der Regelung über die Gesamtvertragsstrafe in gewissen zeitlic...

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