Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Feststellung des Grades der Behinderung bei einer Diabeteserkrankung. Anforderungen an die Schwere der Beeinträchtigung als Voraussetzung der Zuerkennung einer Schwerbehinderteneigenschaft

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Diabeteserkrankung kommt die Zuerkennung eines GdB von 50 oder mehr ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn neben der mit der durch die Erkrankung erforderlichen kontinuierlichen Insulintherapie noch weitere gravierende Beeinträchtigungen der Lebensführung bestehen. Dazu genügt nicht eine wiederholt auftretende Unterzuckerung, soweit diese durch einfache Maßnahmen gelindert werden kann (hier: Gabe von Traubenzucker). Ein GdB von 40 ist dagegen angemessen, wenn der Betroffene zwar mehrmals täglich dem Körper Insulin in Abhängigkeit von der jeweiligen Nahrung zuführen muss, jedoch in seiner Mobilität und seiner Teilhabe am Leben nicht wesentlich eingeschränkt ist.

2. Einzelfall zur Bemessung des GdB bei einer Blutzuckererkrankung mit mehrmals täglich notwendiger Insulingabe (hier: GdB von 40 zuerkannt).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger stellte am 21.10.2014 einen Antrag auf Feststellung eines GdB beim Beklagten. Im Rahmen der Antragstellung gab er an, er leide unter einem Diabetes mellitus Typ I. Die Nachtruhe sei eingeschränkt, da er aus Angst vor schweren Unterzuckerungen während des Schlafes, seinen Blutzucker auch sehr spät noch messen müsse. Mahlzeiten könne er nicht genießen, da es in erster Linie darum gehe, die Blutzuckerwerte auf einem guten Niveau zu halten, um keine Folgeerkrankungen wie Blindheit oder Amputationen zu riskieren. Aus Angst vor den erwähnten Folgeerkrankungen durch schlechte Blutzuckerwerte müsse er häufig messen (vier- bis sechsmal an "normalen" Tagen und bis zu zehnmal an "extremeren" Tagen, z.B. beim Sport). Sportliche Aktivitäten ließen sich nur schwer bewältigen und erforderten häufigeres Blutzuckermessen und gegebenenfalls Mahlzeiten, die ungeplant seien sowie häufigere Ruhezeiten. Bei der Ausübung von Mannschafts-/Teamsportarten sei er daher eingeschränkt. Ausflüge und Urlaubsreisen seien aufwändig zu planen. Er müsse die Insulinmenge beachten und "Reserve-Insulin" mitführen. Bei längeren Reisen, z.B. mit dem Flugzeug, gebe es Probleme bei den Kontrollen, insbesondere bezüglich der Nadeln und Messstreifen sowie dem Insulin. Er müsse sich auch stets gegenüber Menschen, die es an sich nichts angehe rechtfertigen bzw. erklären. Darüber hinaus müsse immer Notfall-Traubenzucker mitführen und die Menschen unterrichten, dass sie ihm bei Unterzuckerung helfen, auch wenn es im ersten Moment so scheine, als ob man betrunken sei (Zittern, unverständliches Sprechen, etc.). Im Beruf seien die Blutzuckermessungen und Insulingaben bei Tisch nicht angebracht, was dazu führe, dass er auf der Toilette (wie ein Süchtiger) seine Messung und Injektion vornehmen müsse. Konferenzen müssten unterbrochen werden, wenn es Zeit für die Messung/Injektion sei. Er leide unter Missempfindung in den Extremitäten, speziell wenn der Blutzuckerspiegel nicht gut sei. Auch sein Sexualleben sei grob eingeschränkt, da insbesondere hier der Blutzuckerwert schwanke und gegebenenfalls wieder Messungen erforderlich seien. Mit anderen Worten drehe sich die Bewältigung des "normalen" Alltags nur noch um gute Blutzuckerwerte. Er könne die Liste der Beeinträchtigungen noch fortführen. Er gab gegenüber dem Beklagten an, er spritze Humalog® und Lantus®, Letzteres nach einem festen Plan, im Übrigen in Abhängigkeit von den Blutzuckerwertmessungen und Aktivitäten. Darüber hinaus legte der Kläger dem Beklagten ein Blutzuckertagebuch für Oktober 2014 vor.

Der Beklagte holte einen Befundbericht des Augenarztes Dr. L. und Allgemeinmediziners und Diabetologen Dr. E. ein und wertete diese durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, die beim Kläger bestehende insulinpflichtige Zuckerkrankheit bedinge einen GdB von 40.

Mit Bescheid vom 18.12.2014 stellte der Beklagte beim Kläger ab dem 21.10.2014 einen GdB von 40 fest.

Unter dem 20.12.2014 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, bei ihm sei entsprechend der geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 50 in Ansatz zu bringen. Der therapeutische Aufwand, um seinen Blutzuckerspiegel stabil und im "Normbereich" zu halten bedeute für ihn eine extreme Behinderung. Die Angst vor Folgeschäden sei sein täglicher Begleiter, zumal sein familiärer Hintergrund gezeigt habe, was schlechte Blutzuckerwerte auslösen. So sei beispielsweise sein Vater im Alter von 60 Jahren an den Folgen eines Diabetes verstorben. Seine Niere sei stark angegriffen gewesen und habe entfernt werden müssen, er habe ein Hörgerät tragen müssen und die Sehkraft habe noch ca. 30 % betragen. Empfindungsstörungen in Extremitäten, wenn der Blut...

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