Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Behandlung der mitochondrialen Myopathie mit Dronabinol. keine anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode. kein Systemversagen. keine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005

 

Orientierungssatz

1. Bei der Behandlung der mitochondrialen Myopathie mit Dronabinol handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode. Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens liegen bisher nicht vor. Ein diesbezügliches Systemversagen ist nicht ersichtlich.

2. Aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) lässt sich ein Versorgungsanspruch mit Dronabinol-Tropfen nicht begründen, denn es liegt bei der mitochondrialen Myopathie zwar eine schwere, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, aber keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol (Tropfen) als Rezepturarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der 1949 geborene Kläger leidet u. a. an einer mitochondrialen Myopathie mit erheblichen Schmerzen. Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie wendet er regelmäßig Entspannungsverfahren an, erhält Krankengymnastik und Schmerzmedikation. Im Hinblick auf die unter der Medikation entwickelten Nebenwirkungen (Albträume, Verschiebung des Tag-/Nacht-Rhythmus, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen), die sich auch nach Umstellung der Medikation nicht verbesserten, beschlossen die behandelnden Ärzte der Klinik für Anästhesiologie - Schmerzambulanz - des Universitätsklinikums X in einer interdisziplinären Schmerzkonferenz mit Einwilligung des Klägers nach ausführlicher Aufklärung einen Therapieversuch mit öligen Dronabinol-Tropfen. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol [ETHC]) ist der Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungspflichtig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes) und kann somit als Rezeptursubstanz verwendet werden. In Deutschland ist kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol zugelassen. Der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol ist unter dem Warennamen Marinol® in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen. Die Zulassung in den USA erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei AIDS-Patienten sowie zytostatikabedingtem Erbrechen. Nach der Einnahme der Dronabinol-Tropfen verbesserte sich die Symptomatik beim Kläger; er hatte weniger Schmerzattacken, der Tag-/Nacht-Rhythmus pendelte sich wieder ein, er war wacher und konzentrierter; das Arzneimittel wurde gut vertragen (Bericht der Uniklinik Aachen vom 14.04.2014).

Am 26.02.2014 verordneten die Ärzte der Uniklinik X "ölige Dronabinol-Tropfen 2,5 % 10 ml" (entsprechen 250 mg Dronabinol). Nach Einholung einer Stellungnahme der Klinikärzte vom 06.03.2014 und des MDK vom 14.03.2014 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 02.04.2014 eine Versorgung (Kostenübernahme) mit Dronabinol-Tropfen ab. Zur Begründung führte sie aus, es gäbe keine entsprechende Fertigarzneimittelzulassung in Deutschland; für eine Therapie mit Dronabinol als Rezepturarzneimittel fehle es an einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA); auch liege kein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß dessen Beschluss vom 06.12.2005 vor.

Dagegen erhob der Kläger am 30.04.2014 Widerspruch. Er wies auf den Erfolg der Therapie mit Dronabinol und eine Stellungnahme der Drogenbeauftragten der Bundesregierung zur Anwendung cannabishaltiger Fertigarzneimittel bei schwerkranken Patienten hin. Desweiteren legt er einen die Therapie beschreibenden Arztbericht der Universitätsklinik X vom 14.04.2014 vor.

Nach Einholung eines weiteren MDK-Gutachtens vom 30.06.2014 und einer Entscheidung des Geschäftsbereichs "Arzneimittel" wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23.09.2014 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 15.10.2014 Klage erhoben. Er trägt vor, es liege bei ihm eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor. Es sei keine andere Therapie als die mit Dronabinol verfügbar. Aufgrund der Datenlage bestehe begründete Aussicht, dass mit Dronabinol-Tropfen ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Es handele sich bei der mitochondrialen Myopathie um eine seltene Erkrankung; er könne nicht als "Versuchskaninchen" auf die "breite Palette der in Deutschland zugelassenen Analgetika" verwiesen werden. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts erscheine die Verordnung von...

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