Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Erziehungsgeld für einen Ausländer

 

Orientierungssatz

1. Erziehungsgeld soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur denjenigen Ausländern zukommen, von denen erwartet werden kann, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben. Deshalb ist für einen Anspruch auf Erziehungsgeld der Besitz eines der in § 1 Abs. 6 Nr. 1 oder Nr. 2 BErzGG genannten Aufenthaltstitel erforderlich. Eine Duldung nach § 60a AufenthG oder eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG genügt nicht.

2. § 1 Abs. 6 BErzGG ist verfassungsgemäß.

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist eine ausländerrechtliche Entscheidung, an die die Erziehungsgeldbehörde und das Sozialgericht gebunden sind. Maßgeblich ist ausschließlich die Entscheidung der Ausländerbehörde. Durch die Anknüpfung an den Besitz des maßgeblichen Titels ist klargestellt, dass das Erziehungsgeld frühestens von diesem Zeitpunkt an bezogen werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.09.2010; Aktenzeichen B 10 EG 7/09 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des am 00.00.2006 geborenen Kindes Henry.

Die am 00.00.1978 geborene Klägerin ist ghanaische Staatsangehörige. Sie hat 2 Kinder: Sandy, geb. 00.00.2004, und Henry, geb. 00.00.2006. Henry ist deutscher Staatsangehöriger. Die Klägerin reiste am 05.07.2004 nach Deutschland ein. Sie war vollziehbar ausreisepflichtig, jedoch war ihre Abschiebung ausgesetzt. Die Klägerin war daher im Besitz einer entsprechenden Duldung. Am 29.05.2007 erhielt sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Seitdem ist ihr eine abhängige Beschäftigung jeder Art gestattet. Die Aufenthaltserlaubnis war (zunächst) bis 29.11.2007 befristet. Die Klägerin war und ist nicht erwerbstätig, bezieht keine Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und nimmt keine Elternzeit in Anspruch.

Am 13.04.2007 beantragte die Klägerin Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr des Kindes Henry.

Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 21.06.2007 ab mit der Begründung, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 6 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) seien nicht erfüllt.

Dagegen legte die Klägerin am 04.07.2007 Widerspruch ein: Sie hoffe auf eine rückwirkende Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG; selbst wenn sie diese nicht erhalten sollte, stelle sich die Frage, ob das geänderte Erziehungsgeldrecht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 06.07.2004 (1 BvR 2515/95) gerecht werde.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19.07.2007 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 08.08.2007 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG zu haben. Unabhängig davon bestehe der Erziehungsgeldanspruch nicht erst ab dem Tage des "Besitzes" der Aufenthaltserlaubnis, sondern ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes. Im Lichte der Entscheidung des BVerfG vom 06.07.2004 sei das Tatbestandsmerkmal "im Besitz" in § 1 Abs. 6 BErzGG entgegen der bisher hierzu in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung nicht länger wörtlich zu begreifen, sondern vielmehr verfassungskonform dahin auszulegen, dass lediglich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung vorliegen müssten. Die Klägerin meint, das BVerfG habe klar herausgearbeitet, dass es auf den formalen Besitz eines Aufenthaltstitels nicht ankommen könne. Da der Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels auch von Faktoren abhänge, die der Betroffene nicht beeinflussen könne (z.B. Bearbeitungszeiten der Ausländerbehörde), und Amtshaftungsansprüche oft am erforderlichen Verschulden scheiterten, sei das Gesetz verfassungskonform dahinauszulegen, dass ihr bereits rückwirkend ab Geburt des Kindes ein Anspruch auf Erziehungsgeld zustehe und nicht erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Besitznahme der Aufenthaltserlaubnis. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Anknüpfung an den formalen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis auch gegen Art. 14 i.V.m. Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße. Die Klägerin bezieht sich hierzu auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) vom 25.10.2005 (59140/00).

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 00.00.2006 bis 14.10.2007 Erziehungsgeld für das Kind Henry zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, ob § 1 Abs. 6 des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der Fassung durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915) mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist.

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