Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietkautionsdarlehen. Unzulässigkeit der Tilgung durch Aufrechnung. keine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB 2. Unwirksamkeit bzw Rechtswidrigkeit der Tilgungsvereinbarung bzw Abtretungserklärung. unzulässige Rechtsausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einbehaltung monatlicher Tilgungsraten für ein Mietkautionsdarlehen kann weder unmittelbar noch analog auf § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 gestützt werden.

2. Der Behörde ist es in Anwendung des in § 242 BGB geregelten und über § 61 S 2 SGB 10 anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf Tilgungsvereinbarungen, die sie selbst veranlasst hat, zu berufen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.03.2012; Aktenzeichen B 4 AS 26/10 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers für beide Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Einbehaltung von Tilgungsraten für ein Mietkautionsdarlehen von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Zeit vom 1. März 2008 bis 31. August 2008.

Der am … 1950 geborene Kläger bezog laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 25. Februar 2008 teilte er der Beklagten die Trennung von seiner Ehefrau und seinen Umzug zum 1. März 2008 in eine von ihm am 22. Februar 2008 angemietete Wohnung in P. mit. Er beantragte bei der Beklagten die Übernahme einer Mietkaution für die neue Wohnung in Höhe von 639,00 EUR als rückzahlbares Darlehen und unterzeichnete eine von der Beklagten vorformulierte Erklärung, mit der er seine Rechte aus dem Anspruch aus der Mietkaution gegenüber seinem Vermieter an die Beklagte abtrat. Ferner heißt es in der Erklärung vom 25. Februar 2008: “ Das Darlehen ist in Anlehnung an § 23 Abs. 1 SGB II durch monatliche Tilgung in Höhe von mindestens 10 % der für die Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Regelleistung zu tilgen. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, wird der Gesamtbetrag in einer Summe fällig.„

Mit Bescheid vom 4. März 2008 bewilligte die Beklagte die Zahlung der Mietkaution in Höhe von 639,00 EUR als Darlehen unter Bezugnahme auf § 22 Abs. 3 SGB II. Zugleich teilte sie dem Kläger mit, dass das Darlehen gemäß der von ihm unterzeichneten Abtretungserklärung durch monatliche Raten in Höhe von 35,00 EUR zu tilgen sei. Sollte diese monatliche Tilgung nicht geleistet werden, werde der Gesamtbetrag in einer Summe fällig. Der Betrag von 35,00 EUR werde ab dem 1. März 2008 zur Tilgung des Darlehens einbehalten. Mit weiterem Bescheid vom 4. März 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum 1. März 2008 bis 31. August 2008 und behielt ab 1. März 2008 35,00 EUR monatlich von den an den Kläger zu zahlenden Leistungen ein.

Mit seinem dagegen am 8. April 2008 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die darlehensweise gewährte Mietkaution nicht während des laufenden Leistungsbezuges zurückverlangt werden dürfe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen nicht vor, eine gegebenenfalls bestehende Rückzahlungsverpflichtung durch die von ihm unterzeichnete Erklärung sei nichtig und eine etwaige Verzichtserklärung werde vorsorglich widerrufen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2008 änderte die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 4. März 2008 für die Zeit ab 1. Juni 2008 durch Ermäßigung der Tilgungsrate auf 17,00 EUR monatlich ab. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück mit der Begründung, dass sie zur Einbehaltung von Tilgungsbeträgen zur Rückzahlung des dem Kläger gewährten Darlehens nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II berechtigt sei. Die Einbehaltung von 10 bzw. 5 % der dem Kläger laufend gewährten Leistungen sei angemessen und verhältnismäßig, weil der belastenden Wirkung der Einbehaltung das Interesse des Sozialleistungsträgers zur möglichst zeitnahen Rückführung von Darlehen und der Grundsatz der steuersparsamen Mittelverwendung gegenüberstünden. Würde ganz von einer Einbehaltung abgesehen, käme dies in einigen Fällen einer Bewilligung der Mietkaution als Zuschuss gleich, da der Leistungsträger zwar durch die Abtretung einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Mietkaution bei Beendigung des Mietverhältnisses habe, er sich aber auch etwaige Ansprüche des Vermieters aus dem privatrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Vermieter und Mieter entgegenhalten lassen müsse, die teilweise zum Erlöschen des Auszahlungsanspruchs führten. Dieses Risiko werde durch eine Einbehaltung von den laufenden Leistungen schrittweise auf den Leistungsempfänger abgewälzt. Dies sei auch sachgerecht, weil es der Mieter in der Hand habe, ob die Mietkaution wieder an ihn ausgezahlt werde oder nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 28. April 2008 beim Sozialgericht Schle...

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