Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Verrechnung des unpfändbaren Teils einer Altersrente mit Forderungen anderer Sozialversicherungsträger im Insolvenzverfahren. Klagebefugnis eines Insolvenzverwalters

 

Orientierungssatz

1. Zur Klagebefugnis eines Insolvenzverwalters, der behauptet, durch Verrechnungen in seinen Rechten als Verwalter über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen verletzt zu sein.

2. Zwar fällt auch Renteneinkommen gemäß § 35 Abs 1 InsO grundsätzlich als sogenannter Neuerwerb zur Insolvenzmasse, allerdings nur mit seinem pfändbaren Anteil. Unpfändbare Vermögen- und Einkommensteile (wie hier die Altersrente) gehören nach § 36 Abs 1 InsO dagegen nicht zur Insolvenzmasse.

3. Auch eine Verrechnung/Aufrechnung mit dem unpfändbaren Teil der Sozialleistungen über den Zwei-Jahres-Zeitraum des § 114 Abs 2 InsO (idF vom 26.10.2001) hinaus ist nicht unzulässig.

4. Die Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle und die Verrechnungsmöglichkeit nach den §§ 52, 51 Abs 2 SGB 1 sind voneinander unabhängig und schließen sich nicht gegenseitig aus (vgl LSG München vom 23.4.2013 - L 20 R 819/09).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.11.2022; Aktenzeichen B 5 R 27/21 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck

vom 29. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 4.800,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter gegen die Verrechnung eines Teils der Altersrente des Versicherten R. (Beigeladener zu 1), der Schuldner des Insolvenzverfahrens ist, mit Beitragsforderungen der beigeladenen Berufsgenossenschaft (Beigeladene zu 2). Er begehrt die Auszahlung von verrechneten Rentenzahlbeträgen in Höhe von 4.800,00 EUR an den Beigeladenen zu 1.

Der 1942 geborene Beigeladene zu 1, der Inhaber und Geschäftsführer der Firma S. war, bezieht seit dem 1. Mai 2006 von der Beklagten eine Altersrente für langjährig Versicherte (Rentenbescheid vom 4. April 2006). Die Rente belief sich ab 1. Mai 2006 auf monatlich 764,50 EUR netto.

Bei der Beklagten waren diverse Forderungen anderer Sozialversicherungsträger zur Verrechnung angemeldet worden, u.a. die von der Beigeladenen zu 2 bestandskräftig festgestellte über noch nicht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 9.271,90 EUR. Ein entsprechendes Verrechnungsersuchen hatte die Beigeladene zu 2 bereits mit Schreiben vom 16. Dezember 2002 bei der Beklagten gestellt. Nachdem diverse andere Sozialleistungsträger zugunsten der Beigeladenen zu 2 ihr Verrechnungsersuchen zurückgenommen hatten und die Beigeladene zu 2 ihr Verrechnungsersuchen mit Schreiben vom 13. April 2006 und 30. Oktober 2006 erneuert hatte, hörte die Beklagte den Beigeladenen zu 1 zu der geplanten Verrechnung eines Teils seiner Rente mit der Forderung der Beigeladenen zu 2 mit Schreiben vom 7. August 2007 an. Dabei wies sie den Beigeladenen zu 1 darauf hin, dass der Verrechnungsbetrag verringert werden oder ganz entfallen könne, wenn dieser nachweise, dass er durch die Einbehaltung des verrechneten Betrages hilfebedürftig werde. In der Folge reichte der Beigeladene zu 1 eine Bedarfsbescheinigung des Landkreises M., Träger für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), ein, wonach bei einer Berechnung der Leistungen nach dem SGB XII die Unterkunftskosten von über 700,00 EUR monatlich weit über dem Höchstsatz lägen und nicht anerkannt werden könnten. Der Landkreis verwies auf das Schreiben vom 16. Januar 2007. Darin hatte er bestätigt, dass der Kläger entsprechend seines Familieneinkommens keinen Anspruch auf Leistung zur Hilfe zum Lebensunterhalt habe. Daraufhin stellte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. November 2007 die Verrechnung eines Betrages in Höhe von monatlich 100,00 EUR mit der Altersrente des Beigeladenen zu 1 zugunsten der Beigeladenen zu 2 fest. Die Verrechnung begann im Dezember 2007. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 212 der Verwaltungsakte verwiesen.

Das Amtsgericht Neubrandenburg eröffnete mit Beschluss vom 28. Mai 2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beigeladenen zu 1, der zahlungsunfähig war. Insolvenzverwalter ist der Kläger. Dieser informierte die Beklagte über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und teilte weiter mit, dass er davon ausgehe, dass für Bezugszeiträume ab Insolvenzeröffnung, d.h. ab Juni 2008, Verrechnungen nicht mehr erfolgen dürften. Er forderte die Beklagte auf, die Verrechnung einzustellen. Er überreichte eine Ermächtigung des Beigeladenen zu 1, die verrechneten Beträge zu Gunsten der Insolvenzmasse geltend zu machen und außerdem eine Abtretung des Beigeladenen zu 1 an die Insolvenzmasse.

Die Beklagte teilte dazu mit Schreiben vom 8. Juli 2008 mit, dass eine Verrechnung auch über Mai 2008 hinaus möglich sei, da das Ersuchen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden sei und außerdem keine Verrechn...

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