Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Krankengeld. Zustimmung der Krankenkasse für einen Aufenthalt im Ausland nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Ermessensreduzierung auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Ermessen der Krankenkasse zur Erteilung einer Zustimmung nach § 16 Abs 4 SGB V ist auf Null reduziert, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten und deren ärztliche Bescheinigung im fraglichen Zeitraum unzweifelhaft vorlagen (vgl LSG Essen vom 30.1.1996 - L 5 KR 102/95; LSG Berlin-Potsdam vom 22.3.2000 - L 9 KR 69/98).

2. Ob die Fahrt in den Urlaub und der Aufenthalt im Ausland eventuell für den Genesungsprozess schädlich ist, stellt für die Ermessensausübung keinen relevanten Gesichtspunkt dar (aA wohl: LSG Stuttgart vom 21.7.2015 - L 11 KR 1257/15 = juris RdNr 38).

3. Es kann daher offen bleiben, ob sich aus dem grundsätzlich vorrangigen Recht der Europäischen Union eine allgemeine Ausnahme von der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 16 Abs 4 SGB V ergibt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.06.2019; Aktenzeichen B 3 KR 23/18 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 15. März 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 werden aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens sowie des Gerichtsverfahrens für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Ruhen von Krankengeld während eines Auslandsaufenthaltes in Dänemark im Zeitraum vom 8. bis 12. September 2014.

Der Kläger ist 1986 geboren und war bei der Firma P. G. in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Am 30. Juli 2014 wurde sein Beschäftigungsverhältnis zum 8. August 2014 gekündigt. An 1. August 2014 wurden bei dem Kläger die Diagnosen M53.1G (Zervikobrachialsyndrom) und M54.16G (akutes Lumbalsyndrom) gestellt und von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D. Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. August 2014 bescheinigt. Am 8. August 2014 wurde von Dr. D. die Arbeitsunfähigkeit bis zum 3. September 2014 und am 1. September 2014 bis zum 29. September 2014 verlängert. Unter dem 6. August 2014 diagnostizierte der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. B. ein Schulter-Armsyndrom sowie ein Lendenwirbelsäulensyndrom.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 28. August 2014 bis auf weiteres Krankengeld in Höhe von 43,59 EUR brutto (38,24 EUR netto) kalendertäglich. Im Weiteren teilte der Kläger mit, dass er vom 8. bis 12. September 2014 nach S. in Dänemark fahren wolle. Dort habe er ein Ferienobjekt gemietet. Im Urlaubszeitraum sei keine Behandlung notwendig. Am 18. September 2014 habe er einen Termin für die Anfertigung von MRT-Aufnahmen und am 29. September 2014 den nächsten Termin bei seinem behandelnden Arzt. Die Reise solle mit dem PKW erfolgen. Dr. D. bestätigte, dass der Kläger zurzeit wegen Lendenwirbelsäulenbeschwerden und Schulterschmerzen rechts krankgeschrieben sei. Eine weitere Diagnostik sei geplant. Die Physiotherapie sei vorerst abgeschlossen, so dass sie gegen den Kurz-Urlaub keine Einwände habe.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) nach Aktenlage ein. Dipl.-Med. K. führte darin aus, aufgrund der muskuloskelettalen Problematik sei eine Urlaubsreise mit langer Autofahrt und den damit verbundenen Wirbelsäulenzwangshaltungen nicht zu empfehlen. Nicht plausibel sei, dass laut dem Kläger eine Behandlung im Zeitraum des Urlaubs nicht nötig sei. Die Beklagte lehnte daraufhin die Zustimmung zu dem Auslandsaufenthalt mit Bescheid vom 6. September 2014 ab und wies darauf hin, dass der Anspruch auf Krankengeld in diesem Zeitraum ruhe.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er habe den Kurzurlaub in Dänemark weit vor dem Eintritt seiner Erkrankung zusammen mit seiner Lebensgefährtin gebucht. Bei der Reise mit dem Pkw sei er lediglich Beifahrer gewesen. Darüber hinaus seien spätestens alle 1½ - 2 Stunden Pausen eingelegt worden, um dem langen Sitzen vorzubeugen. Pausen seien bereits wegen des mitgeführten Hundes zwingend erforderlich gewesen. Weiter wies der Kläger unter anderem darauf hin, dass die Gründe für das Ruhen des Krankengeldes bei einem Auslandsaufenthalt nach § 16 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) darin zu suchen seien, dass der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit im Ausland häufig mit Schwierigkeiten verbunden sei und eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme dieser Leistung vermieden werden solle. Da solche Zweifel bei ihm nicht beständen, sei die Genehmigung zwingend zu erteilen. Der Auslandsaufenthalt habe nur fünf Tage gedauert.

In einer MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule am 18. August 2014 fanden sich eine monosegmentale Bandscheibendegeneration bei L5/S1 ohne sicher nachweisbaren Wurzelkontakt und Zeichen eines thorakalen Morbus Scheuermann mit geringer Ausprägung. Am 23. September 2014 bestätigte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. D., dass das Ende der Arbeits...

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