Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Arzneikostenregress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise. Wahl der kostengünstigsten Bezugsquelle. Berücksichtigung des Arzneimittelherstellerrabatts bei der Festsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Für einen gegen einen Vertragsarzt bei Unterlassen des Direktbezuges eines bestimmten verordneten Präparats festgesetzten Regress wegen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot fehlt die dafür erforderliche (unter-)gesetzliche Grundlage.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Festlegung der Höhe einer Honorarkürzung als Reaktion auf eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit steht den Prüfgremien regelmäßig ein Ermessensspielraum zu. Hat der Beschwerdeausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Festsetzung eines Arzneikostenregresses keinerlei Überlegungen im Hinblick auf eine Berücksichtigung des Arzneimittelherstellerrabatts angestellt, liegt ein vollständiger Ermessensausfall vor.

2. Die Rabattierungspflicht ist auch im Rahmen des § 47 AMG 1976 zu beachten (vgl BSG vom 29.4.2010 - B 3 KR 3/09 R = SozR 4-2500 § 130a Nr 6 und vom 27.10.2009 - B 1 KR 7/09 R = SozR 4-2500 § 130a Nr 4).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.05.2015; Aktenzeichen B 6 KA 18/14 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. Mai 2012 sowie die Bescheide des Beklagten vom 25. April 2008 und 29. April 2009 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge sowie des Vorverfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht zu erstatten sind.

Die Revision wird zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auch für das Berufungsverfahren auf 16.311,60 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist in dem verbundenen Verfahren bezogen auf die Quartale II/2006 bis I/2007 die Rechtmäßigkeit wegen Unwirtschaftlichkeit festgesetzter Arzneikostenregresse i.H.v. insgesamt 16.311,60 Euro.

Die Klägerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und mit Vertragsarztsitz in K. im Bezirk der Beigeladenen zu 2) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit am 30. April 2007 (Quartal II/2006), 28. Juni 2007 (Quartal III/2006), 28. September 2007 (Quartal IV/2006) bzw. 28. Dezember 2007 (Quartal I/2007) beim Prüfungsausschuss bzw. der Prüfungsstelle eingegangenen Anträgen der Beigeladenen zu 1) setzte dieser/diese nach vorheriger Anhörung der Klägerin ihr gegenüber zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) mit Bescheiden vom 25. Juli 2007 (Quartal II/2006), 25. Oktober 2007 (Quartal III/2006), 17. Dezember 2007 (Quartal IV/2006) und 24. Juni 2008 (Quartal I/2007) Regresse i.H.v. dreimal 4.028,40 EUR (Quartale II-IV/2006) sowie 4.226,40 EUR (Quartal I/2007) fest und führte zur Begründung aus: Aufgrund des von ihr getätigten Bezugsweges über die Apotheke habe die Klägerin hinsichtlich der Verordnung des Gerinnungsfaktors VIII SDH Inters 1000 DFL an einen Versicherten der Beigeladenen zu 1) Mehrkosten in der regressierten Höhe verursacht, die bei einem Direktbezug über den Hersteller hätten vermieden werden können. Dadurch sei das Wirtschaftlichkeitsgebot missachtet worden. Zwei Mitarbeiterinnen der Beigeladenen zu 1) hätten die Klägerin am 28. Oktober 2005 in einem persönlichen Gespräch über die Möglichkeiten und die damit verbundene Kostenersparnis des Direktbezuges gemäß § 47 Arzneimittelgesetz (AMG) informiert. Danach dürften pharmazeutische Unternehmer das bezeichnete Präparat u.a. auch an Ärzte abgeben. Im Hinblick auf die Behandlung von Hämophilie-Patienten sei dies die wirtschaftlichste Verordnungsweise. Das von der Klägerin vorgetragene Argument, wegen damaliger auswärtiger Tätigkeit des Patienten sei der Bezug nur über die Apotheke möglich gewesen, sei nicht nachvollziehbar. Sowohl die Arztpraxis als auch die Apotheke, von der der Patient das Medikament bezogen habe, hätten sich an dessen Wohnort befunden. Die jeweils werktags erfolgten Abholungen seien demnach auch durch Angehörige möglich gewesen. Ebenso wenig überzeuge ihr Vortrag, sie habe über keine geeigneten Lager- und Kühlmöglichkeiten für das Medikament verfügt. Für dieses sei eine Lagerung in einem Umkarton (Lichtschutz) nicht über 25° C (kein Einfrieren) vorgesehen. Es sei nicht ersichtlich, dass derartige Bedingungen (Lagerung bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank) in der Arztpraxis nicht zu gewährleisten seien. Die Rechnungslegung des Herstellers erfolge direkt unter Beifügung der Verordnung gegenüber der Krankenkasse. Somit sei die Arztpraxis auch von einem zusätzlichen Arbeitsaufwand, wie z.B. einer Einziehung der Medikamentenzuzahlung, befreit.

Zur Begründung ihrer dagegen am 15. August, 6. November und 28. Dezember 2007 sowie 15. Juli 2008 erhobenen Widersprüche führte die Klägerin im Wesentlichen aus: Für die Regressfestsetzung fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Ihre Inanspruchnahme verstoße gegen die Art. 2, 12 und 14 Grundgesetz (GG). Die §§ 2 und 12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) stellten lediglich Rechtsprinzipie...

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