Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Rückforderung überzahlter Leistungen. Benennung der Rentenbescheide im Korrekturbescheid. Mitwirkungspflicht. Ermessensausübung. keine Pflicht der für die Kontoführung der Witwe zuständigen Rentenabteilung zur Übermittlung des erzielten Erwerbseinkommens an die für die Witwenrente zuständige Abteilung. Beginn der 4-jährigen Verjährungsfrist nach § 50 Abs 4 SGB 10. Austausch der Rechtsgrundlage für die Korrektur

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist unschädlich, dass nicht sämtliche Rentenbescheide in den Rücknahmebescheiden ausdrücklich aufgeführt sind, wenn sie aus dem Tenor der in sich widerspruchsfreien Rücknahmebescheide für den Adressaten erkennbar sind.

2. Die Versicherte ist verpflichtet, sich über ihre Mitwirkungspflichten im Rahmen der Leistungserbringung zu informieren und Hinweisblätter zu den Rentenbescheiden zu lesen. Sie hat die Erzielung von Einkommen anzugeben und die rechtliche Bewertung dem Versicherungsträger zu überlassen.

3. Im Rahmen der Ermessensausübung ist ua zu berücksichtigen, ob eine Versicherte aufgrund besonderer Umstände nicht damit rechnen musste, erstattungspflichtig zu werden.

4. Die für die Kontoführung der Versicherten zuständige Rentenabteilung ist nicht verpflichtet, die für die Witwenrente zuständige Abteilung über erzieltes Erwerbseinkommen in Kenntnis zu setzen.

5. Die im Rahmen der elektronischen Datenübertragung von dem Arbeitgeber an den Rentenversicherungsträger übermittelten Daten zum Verdienst entheben die Versicherte nicht ihrer Mitteilungspflichten.

6. Für den Beginn der 4-jährigen Verjährungsfrist nach § 50 Abs 4 SGB X ist abzustellen auf das Kalenderjahr, in dem der Erstattungsbescheid nach Abs 3 unanfechtbar geworden ist.

7. Ein Austausch der Rechtsgrundlage - § 48 SGB X statt § 45 SGB X - ist zulässig, wenn sich keine Änderung im Regelungsumfang und im Wesensgehalt ergibt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.10.2021; Aktenzeichen B 5 R 204/21 B)

 

Tenor

Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in den Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme einer nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) bewilligten Witwenrente sowie die Rückforderung überzahlter Leistungen i.H.v. 534,51 € für den Zeitraum vom 1. November bis 31. Dezember 1996 (L 5 AS 361/18) sowie i.H.v. 50.866,87 € für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2013 (vormals L 5 AS 362/18).

Die am ... 1951 geborene Klägerin ist seit dem 3. Juli 1996 verwitwet. Sie bezog bis September 2013 durchgehend Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Krankenschwester, zunächst mit wechselndem und ab dem Jahr 2000 mit gleichbleibendem Gehalt. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden an die Beklagte abgeführt. Seit dem 1. Oktober 2013 bezieht sie Altersrente (Bescheid vom 16. August 2013).

Die Klägerin hatte am 22. Juli 1996 mündlich die Gewährung von Hinterbliebenenrente beantragt. Die schriftliche Antragsaufnahme erfolgte gemeinsam mit ihrem damals minderjährigen Sohn T. am 25. Juli 1996 bei einer Versichertenältesten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. In der „Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente/Erziehungsrente“ war zur Frage 3 Arbeitsentgelt („Beziehen oder bezogen Sie ab Beginn der Rente wegen Todes aus einem oder mehreren abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (z.B. als Arbeitnehmer, Beamter, DO-Angestellte) Arbeitsentgelt, auch Ausbildungsvergütung, ggf. auch im Ausland"? angekreuzt worden: „nein“. Die Formularanträge waren von der Klägerin am 25. Juli 1996 eigenhändig unterschrieben worden. Nach der Bestätigung der Versichertenältesten waren dem Rentenantrag als Anlagen beigefügt gewesen: „1 SV-Ausweis grün, 1 Heiratsurkunde, 1 Sterbeurkunde, 1 Beitragsnachweiskarte Mitarb. Staatsapp., 1 Aufhebungsbescheid, 1 Arbeitsbescheinigung, 1 Nachweis VG, 1 Bescheinigung Zusatz-Versorgung.“

Die Beklagte hatte der Klägerin mit Bescheid vom 28. Oktober 1996 Witwenrente ab dem 3. Juli 1996 ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt. Auf Seite 3 des Bescheids findet sich folgender Hinweis:

„Mitteilungspflichten

Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluß auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind

-  Arbeitsentgelt,

-  Einkommen aus selbständiger Tätigkeit,

-  vergleichbares Einkommen,

oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.

Soweit Änderungen Einfluß auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid - auch rückwirkend - ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht...

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