Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Ende des Anspruchs auf Verletztengeld. Wegfall der Entgeltersatzfunktion bei Altersrentenbezug des Versicherten. Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung nach Rentenbezug ohne rentenerhöhende Auswirkung

 

Orientierungssatz

1. Das Verletztengeld kann seine Entgeltersatzfunktion ab dem Zeitpunkt, ab dem der Versicherte Altersrente bezieht und seinen Lebensunterhalt anstelle einer Erwerbstätigkeit aus dieser Rente bestreitet, nicht mehr erfüllen.

2. Diese Situation tritt zumindest dann ein, wenn der Betroffene nach Bezug einer Altersrente eine geringfügige Beschäftigung ausübt und diese sich nicht mehr rentenerhöhend auswirkt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.08.2019; Aktenzeichen B 2 U 7/18 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts T vom 13.05.2016 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 01.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 geändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H. auch für die Zeit vom 13.07.2012 bis zum 08.01.2014 zu gewähren.

3. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente ab dem 13.07.2012.

Der Kläger ist 1946 geboren. Beruflich war er im Wesentlichen als Bauwerker tätig. Seit Vollendung des 60. Lebensjahres bezieht der Kläger eine Altersrente. Nach dem Renteneintritt war der Kläger in dem Unternehmen BSM Bausanierungs-GmbH als Bausanierer im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung tätig. Zuletzt betrug sein Nettoverdienst dort 350,00 €. Der Kläger war bis zum 10.07.2012 in dem Unternehmen tätig. Ab dem 12.07.2012 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Bescheid vom 22.07.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe ab dem 12.07.2012 bis zum Ablauf der 78. Woche entsprechend § 45 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung- (SGB VII) einen Anspruch auf Verletztengeld. Die Rentengewährung beginne nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII am 09.01.2014 (Beginn der 79. Woche). Die Höhe des Verletztengeldes wurde auf der Grundlage des Bruttoentgeltes aus der geringfügigen Beschäftigung errechnet.

Mit weiterem Bescheid vom 01.10.2014 erkannte die Beklagte bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten- Verordnung (BKV) an. (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete die Beklagte ab dem 09.01.2014 mit 100 v.H. Als Tag des Versicherungsfalls wurde der 12.07.2012 festgesetzt.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch. Es sei kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden, weil die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht die Lebensgrundlage sei. Grundlage seiner Existenz sei nicht das Zusatzeinkommen aus geringfügiger Beschäftigung, sondern seine Altersrente. Verletztenrente sei ihm deshalb ab dem 13.07.2012 zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werde die Rente an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der dem Tag folge, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende. Der Kläger habe bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 12.07.2012 eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt. Ihm sei deshalb zunächst Verletztengeld zu gewähren. Das Verletztengeld gleiche den konkreten Entgelt- und Einkommensverlust des Klägers aus, den er infolge der durch den Versicherungsfall bedingten Arbeitsunfähigkeit erlitten habe. Verletztenrente sei ihm erst nach Ablauf der 78. Woche gemäß § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII zu gewähren.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 26.02.2015 Klage erhoben.

Der Kläger hat geltend gemacht, vorliegend sei kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden, denn dieser setze einen unmittelbaren zeitlichen Anschluss an einen Anspruch auf Erwerbs- oder Ersatzeinkommen voraus. Dieser unmittelbare zeitliche Anschluss sei nur dann gegeben, wenn dieses Erwerbseinkommen seine wirtschaftliche Lebensgrundlage gewesen sei. Dies sei vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Seine Lebensgrundlage bilde die von ihm bezogene Altersrente.

Durch Urteil vom 13.05.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente ab dem 13.07.2012. Der Rentenanspruch beginne erst mit dem Folgetag, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende. Der Kläger habe jedoch Anspruch auf Verletztengeld wegen der Folgen der anerkannten Berufskrankheit. Der Kläger sei ab dem 12.07.2012 durchgängig bis zum Zeitpunkt der Gewährung von Verletztenrente ab dem 09.01.2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Er ...

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