Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Ausschluss von Krankengeld bei Bezug einer Vollrente wegen Alters (hier: französische Altersrente). § 50 Abs 1 Nr 1 und 4 SGB 5 steht mit EU-Recht in Einklang

 

Orientierungssatz

1. Art 12 Abs 2 S 1 der VO(EWG) Nr 1408/71 (juris: EWGV 1408/71) ist so auszulegen, dass er die Kürzung oder das Ruhen einer allein nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates erworbenen Leistung (hier: Anspruch auf Krankengeld) auch dann ausschließt, wenn die nach den Leistungsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates erworbenen Leistungen (hier: französische Altersrente), die bei der Kürzung anzurechnen sind, in Anwendung von Art 57 EWGV 1408/71 festgestellt worden sind und der zuständige Träger des ersten Mitgliedsstaates nach Maßgabe des Art 57 Abs 3 Buchst c EWGV 1408/71 zur Finanzierung dieser Leistung beiträgt (vgl EuGH vom 15.9.1983 - C-279/82 = SozR 6050 Art 12 Nr 12).

2. Aus dieser Entscheidung lässt sich indessen nicht herleiten, dass die Regelung des § 50 Abs 1 Nr 1 und 4 SGB 5 gegen die EWGV 1408/71 bzw die Nachfolgeregelung der VO(EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004) verstoßen würde. Vielmehr steht der Ausschluss von Krankengeld bei Bezug einer Vollrente wegen Alters mit Art 5 Buchst a EGV 883/2004 in Einklang, da die Regelung über den Ausschluss von Krankengeld bei Bezug einer Vollrente wegen Alters gleichermaßen für in Deutschland und in einem anderen Mitgliedsstaat bezogene Leistungen gilt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.06.2019; Aktenzeichen B 3 KR 15/18 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27.11.2017 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 26.05.2015 bis zum 07.06.2015 hat.

Die am 1953 geborene Klägerin, die in Frankreich wohnhaft ist, ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 13.04.2015 erkrankte sie arbeitsunfähig. Ihr wurde ärztlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt bis zum 07.06.2015. In diesem Zeitraum war die Klägerin bei der Firma V Industrieservice GmbH in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt (Wochenarbeitszeit: 20 Stunden, Vergütung: 9,80 € pro Stunde). Bis zum 25.05.2015 erhielt sie von ihrem Arbeitgeber Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klägerin bezieht seit 01.05.2014 eine Altersrente von der französischen l’Assurance Retraite Alsace-Moselle in Höhe von 420,22 € monatlich; hiervon erhielt die Beklagte Ende Mai 2015 Kenntnis.

Mit Bescheid vom 01.06.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine Krankengeldzahlung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit ab 13.04.2015 sei nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht möglich, da die Klägerin eine Altersrente in Frankreich beziehe. Die Höhe der ausländischen Leistung sei unerheblich. Dies gelte auch nach den Regelungen VO(EWG) 1408/71 und der Nachfolgeregelung des Art. 5 der VO(EG) 883/2004. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, das Kumulierungsverbot des § 50 SGB V verletze das Diskriminierungsverbot der Art. 45, 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). In einem Urteil vom 15.09.1983 (C-279/82) habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) darauf hingewiesen, dass die Anwendung eines Kumulierungsverbotes, das sich allein auf innerstaatliche Leistungen beziehe, auf eine Leistung, die aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zu gewähren sei, nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Anspruch auf die zu kürzende Leistung aufgrund der Anwendung der Vorschriften der Verordnung VO(EWG) 1408/71 entstanden sei. Dies sei aber unstreitig nicht der Fall, da sie in Deutschland gearbeitet habe und noch arbeite und hier Sozialversicherungsbeiträge abführe. Durch Widerspruchsbescheid vom 29.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.06.2016 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, sie beziehe nur eine Rente für die in Frankreich zurückgelegten Arbeitszeiten. Es handele sich nicht um eine Vollrente im Sinne des § 50 SGB V, sondern nur um eine Teilrente, die für den Bezug von Krankengeld unschädlich sei. Sollte das Gericht gleichwohl von einer Vollrente ausgehen, würde diese Auslegung gegen europäisches Recht verstoßen. Die Europäische Kommission habe in einem Schreiben vom 04.06.2013 an die Grenzgängervereinigung ausgeführt, dass nach ihrer Auffassung das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-279/82 auch bei Geltung der VO(EG) 883/2004, die die VO(EWG) 1408/71 ersetze, anzuwenden sei. Durch Urteil vom 27.11.2017 hat das Sozialgericht Speyer die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V gewesen sei, da der Anspruch auf Krankengeld aus anderen Gründen scheitere. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB V ende ein Anspruch auf K...

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