Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Feststellung des Pflegebedarfs. Begleitung bei Arztbesuchen als berücksichtigungsfähige Zeit. Pflegestufe I. Pflegebedarf. Grundpflege. Durchschnittlicher Zeitaufwand. Wochenbedarf. Fahrzeit zu Arztbesuchen. Wartezeit bei Ärzten. Sturzgefahr. Beaufsichtigungsbedarf

 

Leitsatz (amtlich)

Benötigt der Versicherte bei Arztbesuchen Hilfe durch eine Begleitperson für den Weg vom Fahrzeug zur Arztpraxis, kann auch für die Fahrt zur Arztpraxis benötigte Zeit bei der Feststellung des Pflegebedarfs nach dem SGB 11 zu berücksichtigen sein.

 

Normenkette

SGB XI § 15 Abs 3 Nr 1

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 22.6.2011 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab dem 1.3.2009.

Die 1958 geborene Klägerin, die überwiegend von ihrem Ehemann gepflegt wird, beantragte im März 2009 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen (Kombinationsleistungen) aus der sozialen Pflegeversicherung. In ihrem Gutachten vom Mai 2009 (persönliche Untersuchung der Klägerin am 25.5.2009) nannte die Pflegefachkraft E vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) als pflegebegründende Diagnosen: Coxarthrose, Schmerz, Adipositas, Kniegelenksarthrose, reaktiv depressives Syndrom. Sie schätzte den Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege mit 29 Minuten täglich im Wochendurchschnitt ein (Körperpflege 20 Minuten; Mobilität 9 Minuten). Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4.6.2009 die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung ab. Sie wies den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin unter Berücksichtigung einer gutachtlichen Stellungnahme nach Aktenlage der Pflegefachkraft H /Arzt im MDK Dr C vom August 2009 durch Widerspruchsbescheid vom 12.11.2009 zurück.

Am 9.12.2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Speyer erhoben und ein Pflegetagebuch vorgelegt. Die Beklagte hat dem SG ein Gutachten des Arztes im MDK Dr C vom Mai 2010 (persönliche Untersuchung der Klägerin am 12.5.2010) vorgelegt. Dieser hat einen Pflegebedarf der Klägerin in der Grundpflege von 28 Minuten kalendertäglich im Wochendurchschnitt (Waschen/Baden 15 Minuten; Kämmen eine Minute; Darmentleerung zwei Minuten; An- und Auskleiden 9 Minuten; Stehen - Transfer - eine Minute) angegeben. Das SG hat ein Gutachten des Internisten B vom November 2010 (Hausbesuch am 27.11.2010) eingeholt. Dieser hat ausgeführt, bei der Klägerin lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: 1. Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes mit Gehbehinderung bei Hüftgelenksarthrose und Zustand nach Operation; Kniegelenksarthrose rechts; 2. chronisches Wirbelsäulensyndrom; Schulter-Arm-Syndrom rechts, diskret auch links; Karpaltunnelsyndrom beidseits; chronisches Schmerzsyndrom; 3. Harninkontinenz; 4. depressive Anpassungsstörung; 5. Sehschwäche. Der Gutachter hat kalendertäglich im Wochendurchschnitt einen Pflegebedarf von 47 Minuten (ua sechs Minuten für die Begleitung der Klägerin - Fahrzeit zuzüglich Wege zum Kfz - zu behandelnden Ärzten und 5 Minuten für die dabei anfallenden Wartezeiten) in der Grundpflege und 130 Minuten in der Hauswirtschaft angegeben.

Durch Urteil vom 22.6.2011 hat das SG Speyer die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab dem 1.3.2009 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Hilfebedarf der Klägerin in der Grundpflege sei mit insgesamt 50 Minuten kalendertäglich im Wochendurchschnitt einzuschätzen. Der Hilfebedarf in der Grundpflege in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität (ohne Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) betrage insgesamt 39 Minuten kalendertäglich im Wochendurchschnitt. Im Bereich des Waschens/Badens seien insgesamt 18 Minuten täglich anzusetzen (Ganzkörperwäsche fünf Minuten; Teilwäsche des Unterkörpers abends wegen der Harninkontinenz drei Minuten; Baden fünf Minuten; Haarewaschen fünf Minuten). Weiterhin seien nach den Darlegungen des Gutachters B täglich zwei Minuten Hilfe beim Kämmen, zwei Minuten für die Toilettenhygiene, eine Minute für die Nahrungsaufnahme, sechs Minuten für die Hilfe beim Aufstehen/Zubettgehen, neun Minuten für die Hilfe beim An- und Auskleiden und eine Minute für die Hilfe beim Stehen (Transfer) zu berücksichtigen. Zusätzlich seien für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung 11 Minuten kalendertäglich ansatzfähig. Bei der Klägerin fielen durchschnittlich einmal wöchentlich Arztbesuche in K bzw W an, wobei die reine Fahrzeit für die Hin- und Rückfahrt durchschnittlich 37 Minuten betrage. Hinzu kämen drei Minuten für die Hilfe beim Treppensteigen und vier Minuten für Hilfen beim Ein- und Aussteigen aus dem PKW, womit sich insgesamt für die...

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