Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstreckung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auf eine befristete berufsfremde Beschäftigung. parallele Ausübung einer bereits nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 befreiten Beschäftigung und der nach § 6 Abs 5 S 2 zu befreienden Beschäftigung. Erfordernis eines zeitlichen Nacheinanders dieser Tätigkeiten

 

Orientierungssatz

1. Eine Befreiung von der nach § 1 S 1 Nr 1 SGB 6 bestehenden Rentenversicherungspflicht auf der Grundlage des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 kommt für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter bei einem Bundestagsabgeordneten nicht in Betracht.

2. Die Erstreckung einer zuvor bewilligten Erstreckung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf eine weitere Beschäftigung ist nicht Regelungsgegenstand des § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 (vgl BSG vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 21).

3. § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 erfasst keine vollständig parallel ausgeübten Tätigkeiten. Die Erstreckung der für eine bestimmte Beschäftigung erteilten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf eine andere, nur vorübergehend ausgeübte Beschäftigung setzt vielmehr voraus, dass ein (zumindest teilweises) Nacheinander der Ausübung der befreiten Beschäftigung und der nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 im Wege der Erstreckung zu befreienden Tätigkeit vorliegt.

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.06.2021 geändert und die Klage abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die wiederholte Erstreckung der Befreiung der Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht als angestellte Rechtsanwältin auf eine parallel hierzu ausgeübte, zeitlich befristete Tätigkeit als "wissenschaftliche Mitarbeiterin" vom 01.01.2016 bis zum 31.10.2021.

Die Klägerin ist seit dem 25.10.2005 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Y. und seit dem 27.10.2005 Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen, der Beigeladenen zu 1. Zu dieser Zeit war sie als selbständige Rechtsanwältin im I. tätig. 2013 nahm die Klägerin dann eine Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin in einer Anwaltskanzlei in U. auf. Hierfür wurde sie von der Beklagten von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung mit Wirkung ab dem 01.04.2013 nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) befreit. Nachdem der zunächst befristet geschlossene Arbeitsvertrag endete und durch einen unbefristeten Vertrag ersetzt worden war, erging nach neu gestelltem Befreiungsantrag der weiterhin aktuelle Befreiungsbescheid vom 08.07.2014.

Bereits zum 01.10.2008 hatte die Klägerin eine erste Stelle als "wissenschaftliche Mitarbeiterin" bei der S. Hochschule O. aufgenommen. Für diese bis zum 30.09.2010 befristete Tätigkeit wurde sie von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 S. 1 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Insgesamt wurde die Klägerin achtmal, stets für zeitlich befristete Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Hochschulen von der Beklagten durch Erstreckung der Befreiung als (angestellte) Rechtsanwältin auf die nicht berufsspezifische Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit.

Im März 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege einer Erstreckung nach § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Sie gab an, nunmehr als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem Bundestagsabgeordneten, dem Beigeladenen zu 2, zugleich ihrem Prozessbevollmächtigten, beschäftigt zu sein. Das Beschäftigungsverhältnis habe am 01.01.2018 begonnen und sei aufgrund seiner Eigenart zeitlich befristet. Es ende nach § 9 Abs. 4 des standardisierten Arbeitsvertrages des Bundestages für Hilfskräfte von Abgeordneten in "jedem Fall mit Ablauf des Monats, in dem eine Wahlperiode endet". Dem Arbeitsvertrag ist nichts Näheres zu den von der Klägerin zu verrichtenden Arbeiten zu entnehmen. In "§ 1 Tätigkeit" heißt es lediglich, dass die Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin "zur Unterstützung des obengenannten Mitglieds des Bundestages bei dessen parlamentarischer Arbeit in der 19. Wahlperiode" diene.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15.05.2018 ab. Grundsätzlich sei eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt (§ 6 Abs. 5 S. 1 SGB VI). Gemäß § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI könne sich jedoch in Erweiterung des Tätigkeitsbezuges eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ausnahmsweise dann auf eine andere, berufsfremde Beschäftigung erstrecken, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sei und die Versorgungseinrichtung auch während der Ausübung der Beschäftigung den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften...

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