Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität der Altersgrenzenregelung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte

 

Orientierungssatz

1. Die Altersgrenze für die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit Vollendung des 68. Lebensjahres gemäß § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 i. d. F. des GMG vom 14. 11. 2003 ist nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG mit dem GG vereinbar.

2. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist auch geklärt, dass § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 a. F. mit europäischem Recht vereinbar ist.

3. Diese für den Bereich des Vertragsarztrechts getroffene Entscheidung ist auf Vertragszahnärzte übertragbar, weil für beide die gesetzliche Altersgrenzenregelung in § 95 Abs. 7 S. 3 SGB 5 a.F. in gleicher Weise und mit der gleichen Zielsetzung galt.

4. Die Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Verteilungsgerechtigkeit sind vom EuGH ausdrücklich als billigenswerte Gründe für die Altersgrenze angesehen worden.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29.07.2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Beendigung ihrer Zulassung zum 30.06.2007 wegen Vollendung des 68. Lebensjahres.

Die am 00.00.1939 geborene Klägerin war seit dem 01.04.1974 in I als selbständige Zahnärztin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im April 2007 hat sie ihr 68. Lebensjahr vollendet.

Zu Beginn des Jahres 2007 wandte sie sich an den Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (ZA), um eine Verlängerung ihrer Zulassung zu vertragsärztlichen Tätigkeit zu erreichen.

Gegen dessen ablehnende Entscheidung vom 25.04.2007 legte die Klägerin am 02.05.2007 Widerspruch ein und beantragte, sie über den 30.06.2007 hinaus zur vertragszahnärztlichen Versorgung zuzulassen. Bei der Richtlinie 2000/78/EG und demgemäß bei dem hierauf beruhenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) handele es sich um höherrangiges Recht, das dem nationalen Recht vorgehe und nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 20.11.2005 (Mangold) zur Unanwendbarkeit diskriminierender Normen führe. Im Übrigen verstoße § 95 Abs. 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aber auch gegen Art. 14 des Grundgesetzes (GG): Da etwa 90 % der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert sei, seien die niedergelassenen Zahn-/Ärzte zur Ausübung ihres Berufes regelmäßig auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung angewiesen, so dass die Zulassung als geschütztes Eigentum anzusehen sei.

Am 07.05.2007 stellte die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Dortmund den Antrag, den Beklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, sie zumindest für zwei weitere Jahre zur vertragszahnärztlichen Versorgung zuzulassen (S 16 KA 77/07 ER). Mit Beschluss vom 06.06.2007 wurde der Antrag abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb ebenfalls erfolglos (Beschluss des erkennenden Senates vom 18.09.2007 - L 11 B 17/07 KA ER -).

Mit Beschluss vom 30.05.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Selbst wenn § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V gegen das europarechtliche Verbot einer Altersdiskriminierung verstoßen sollte, müsse der Beklagte diese Vorschrift anwenden, weil er keine Verwerfungskompetenz habe und nur Gerichte eine Vorlage an den EuGH richten könnten. Im Übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) aber auch schon entschieden, dass die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 SGB V europarechtskonform sei.

Hiergegen hat sich die am 20.07.2007 erhobene Klage gerichtet, mit der die Klägerin weiterhin die Zulassung über den 30.06.2007 begehrt und im Wesentlichen vorgetragen hat, dass das nationale Recht nicht angewendet werden dürfe, wenn es gegen höherrangiges Europarecht verstoße. Zudem sei § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V schon deshalb nichtig, weil die Vorschrift eine enteignende Wirkung habe und eine entsprechende Entschädigungsregel fehle.

In dem vom SG eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 Vertrag zur Gründung der Europäischen Union (EGV - jetzt Art. 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) hat der EuGH in seinem Urteil vom 12.01.2010 - C-341/08 - auf den Vorlagebeschluss hin für Recht erkannt:

Tenor:

"1. Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altergrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese d...

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