Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der zum 1. 7. 2010 unterbliebenen Rentenanpassung

 

Orientierungssatz

1. Die Festlegung des jeweiligen aktuellen Rentenwertes ist Ausdruck der dem Gesetzgeber durch Art. 14 Abs. 1 GG zugewiesenen Bestimmung des Inhalts des Eigentums des Versicherten an dessen Rentenansprüchen und -anwartschaften. Der verfassungsrechtliche Schutz der Höhe des aktuellen Rentenwertes ist geringer als der Schutz der durch Eigenleistung erworbenen Entgeltpunkte.

2. Es besteht insoweit lediglich ein Recht auf jährliche Neufeststellung des aktuellen Rentenwertes, der zum Schutz der Rentenbezieher vor einer tatsächlichen Rentenabsenkung nicht geringer als im Vorjahr festgesetzt werden darf.

3. Die unterbliebene Rentenanpassung zum 1. 7. 2010 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, die Versorgungsbezüge der Ruhestandsbeamten und die Anpassung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in gleicher Weise vorzunehmen. Zwischen beiden Systemen bestehen Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie eine unterschiedliche Ausgestaltung rechtfertigen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.09.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.07.2010 eine höhere Altersrente zu zahlen.

Der am 00.00.1948 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 01.10.2008 Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Mit einer undatierten "Mitteilung über die Anpassung der Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung" teilte die Beklagte dem Kläger im Jahr 2010 mit, der aktuelle Rentenwert betrage für die Zeit ab dem 01.07.2010 unverändert 27,20 Euro. Sie berechnete einen monatlichen Rentenbetrag iHv 1.551,82 Euro und unter Absetzung der auf den Kläger entfallenden Beitragsanteile zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung iHv monatlich 122,59 Euro bzw. 30,26 Euro einen Auszahlungsbetrag von 1.398,97 Euro.

Hiergegen richtete sich der am 16.07.2010 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Klägers. Er machte geltend, die Nichtanpassung der Renten verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (GG) und gegen die allgemeinen Menschenrechte, weil ehemalige Beamte im Jahr 2010 eine Erhöhung ihrer Pension um durchschnittlich 1,2% erhalten hätten.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2010 zurück. Die Bestimmung des aktuellen Rentenwerts entspreche dem geltenden Recht.

Am 28.09.2010 hat der Kläger Klage erhoben mit der Begründung, dass die Nichtanpassung der Renten zum 01.07.2010 u.a. gegen Art. 3 GG, gegen Art. 14 GG in Verbindung mit Art. 19 GG und gegen Art. 20 GG verstoße. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers finde ihre Schranken, wenn er eine Rentenanpassung unterhalb der Inflationsrate vornehme, obwohl die Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiven Versicherten wenigstens eine Anpassung nach der Inflationsrate zulasse. Insoweit wirke die Funktion des individualgrundrechtlichen Renteneigentums. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege vor, weil Pensionäre eine Erhöhung ihrer Bezüge um durchschnittlich 1,2 % erhielten, Rentner dagegen eine weitere Nullrunde hinnehmen müssten. Die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen Altersvorsorgesysteme gehe auf vordemokratische Zeiten (19. Jahrhundert) zurück und verstoße im demokratischen Rechtsstaat gegen die Verfassung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei aus rechtsstaatlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Das BVerfG habe seit 1981 keine Verfassungsbeschwerde zum Thema Rentenanspruch bzw. Rentenhöhe zur Entscheidung angenommen und spreche seitdem von der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und habe damit der politischen Beliebigkeit einen höheren Verfassungsrang gegeben als den elementaren Grundrechten der Versicherten. Ferner spreche es von einem Solidarsystem, obwohl die gesetzliche Rentenversicherung kein Solidarsystem sein könne, da die staatlichen und gesellschaftlichen Eliten nicht beteiligt seien. Diese Rechtsprechung sei rechtsstaatlich bedenklich, weil sie eine erhebliche finanzielle Entlastung u.a. von Beamten und Richtern auf Kosten der Versichertengemeinschaft bewirke. Da das BVerfG bis zuletzt an seinen Entscheidungen gegen Arbeitnehmer und Rentner festgehalten habe, müsse davon ausgegangen werden, dass dieses in absehbarer Zeit seine Befangenheit in dieser Sache nicht ablegen werde und damit der Rechtsweg in Deutschland zur Zeit ausgeschöpft sei. Er (der Kläger) halte es deshalb für sachgerecht, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzulegen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.09.2011 abgewiesen. Die Nichtanpassung der Renten zum 01.07.2010 entspreche den einfachgesetzlichen Vorschriften und sei ...

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