Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfordernis der Zustimmung des Grundsicherungsträgers zum Umzug eines unter-25-Jährigen zur Übernahme der Kosten für die Unterkunft durch den Grundsicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung eines unter 25-Jährigen nach § 22 Abs. 5 S. 1 SGB 2 bedarf es der Zusicherung des Grundsicherungsträgers nicht bei jedem Umzug, sondern nur vor einem Umzug in eine Unterkunft, über die ein Vertrag abgeschlossen wird.

2. Die für eine Anerkennung des Anspruchs auf Unterkunftskosten erforderliche Zusicherung muss grundsätzlich vor dem Vertragsschluss erteilt worden sein.

3. Von diesem Erfordernis kann abgesehen werden, wenn es dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen.

4. Nach § 22 Abs. 5 S. 2 SGB 2 ist der Grundsicherungsträger zur Zusicherung verpflichtet, wenn u. a. schwerwiegende soziale Gründe, die einen Verweis auf die Wohnung der Eltern unmöglich machen, vorliegen.

5. Die Regelung ist verfassungsgemäß. Das Freizügigkeitsgrundrecht nach Art. 11 Abs. 1 GG begründet keine staatliche Verpflichtung zur Bereitstellung der finanziellen Mittel, die für einen Auszug aus dem Elternhaus benötigt werden. Das Zustimmungserfordernis dient dazu, die eigene Bedürftigkeit nicht zu vergrößern, wenn sie zumutbar geringer gehalten werden kann, als eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Kindes zu rechtfertigen ist.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.12.2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen.

Der 1990 geborene Kläger lebte bis zum Sommer 2013 im Haushalt seiner Mutter in I und bezog bis zum 31.07.2013 als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, der u.a. seine Mutter und seine Geschwister angehörten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter Landkreis M. Dabei wurde zugunsten des Klägers neben dem Regelbedarf zuletzt ein monatlicher Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 126,73 EUR berücksichtigt. Das Jobcenter Landkreis M wies den Kläger zur Verbesserung seiner Eingliederungschancen einer Maßnahme in der Nähe von I1 zu. Er sollte dort internatsmäßig untergebracht werden. Am 01.08.2013 zog der Kläger zu seiner Freundin B. Frau B wohnte seit ihrem Auszug aus dem elterlichen Haushalt bei den Eheleuten U und E L in deren Wohnung im Haus T-weg 00 in H. Für die Wohnung war ein monatlicher Mietzins iHv 510,36 EUR (Grundmiete 319,36 EUR, Heizkosten 97 EUR und Betriebskosten 94 EUR) zu entrichten. Ein schriftlicher Untermietvertrag zwischen dem Kläger und den Eheleuten L liegt nicht vor. Vor dem dauerhaften Einzug des Klägers in den Haushalt der Eheleute L einigten sich der Kläger und die Eheleute L mündlich darüber, dass der Kläger Leistungen bei dem Beklagten beantragt und er sich anteilig an den Unterkunftskosten beteiligt. Eine vorherige Zusicherung des Leistungsträgers iSd § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II holte der Kläger vor dieser Absprache nicht ein. Frau B bezog ebenso wie die Eheleute L Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Nach dem Einzug des Klägers reduzierte der Beklagte deren Leistungen für Unterkunft und Heizung auf monatlich 255,18 EUR (½ der monatlichen Gesamtkosten). Der Beklagte bewilligte Frau B Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des auf sie entfallenden Kopfteils der Aufwendungen für die Unterkunft. Die Reduzierung der Unterkunftsleistungen für Herrn und Frau L um den Kopfteil des Klägers ist angefochten.

Am 01.08.2013 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten. Mit Bescheid vom 12.08.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 iHv 306 EUR monatlich. Dabei berücksichtigte er keine Kosten für Unterkunft und Heizung.

Mit dem am 23.08.2013 eingelegten Widerspruch machte der Kläger die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung und einen erhöhten Regelbedarf geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei ohne Zustimmung des kommunalen Trägers von I nach H verzogen. Gemäß § 22 Abs. 5 SGB II könnten daher Kosten der Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt werden. Gemäß § 20 Abs. 3 SGB II betrage der monatliche Regelbedarf des Klägers 306 EUR.

Am 25.09.2013 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. § 22 Abs. 5 SGB II sei vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift sei zumindest verfassungskonform einzuschränken, wenn ein Leistungsberechtigter vor Vollendung des 25. Lebensjahres ohne Zustimmung überörtlich umziehe und durch den Umzug keine zusätzlichen Kosten entstünden. Dies sei hier der Fall. Die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung des Klägers würden bei den Eheleuten L eingespart.

D...

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