Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Aufhebung. Rückforderung. Grobe Fahrlässigkeit. Jahresfrist. Anhörung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Rahmen der Beurteilung, ob nachträglich eine Änderung der Verhältnisse i.S.v. § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist oder ein Fall anfänglicher Rechtswidrigkeit der Bewilligung vorliegt ist nicht auf den Zeitpunkt des Ergehens der Anpassungs- oder Änderungsbescheide abzustellen. Vielmehr ist hier der Zeitpunkt des Erlasses des jeweiligen Ausgangsbescheids maßgeblich.

2. Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten und zur Kenntnis genommenen Merkblatts zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet i. A. grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst war, dass der Begünstigte seinen Inhalt unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Einzelfall ohne weiteres erkennen konnte.

3. Bei einer Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw. der Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist erst dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. BSG v. 27.07.2000, B 7 AL 88/99 R), was regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen der Fall ist.

4. Ist eine Anhörung nicht erfolgt bzw. lässt sie sich nicht nachweisen, ist der Fristbeginn zu Grunde zu legen, wie er eingetreten wäre, wenn das Anhörungsverfahren mit dem von der Behörde bei ihrer Entscheidung angenommenen Verlauf abgeschlossen worden wäre.

 

Normenkette

SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3; SGB III § 330 Abs. 3, §§ 195, 137 Abs. 1-3; SGB I § 60

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.10.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 03.07.2003 in Höhe von 1359,69 Euro.

Der 1950 geborene Kläger war bis 1997 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Danach bezog Arbeitslosengeld und ab 2000 Arbeitslosenhilfe. Seit März 2002 erhielt die Ehefrau des Klägers für sich und zwei gemeinsame Kinder Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und mietete eine eigene Wohnung an. Die Beklagte hörte den Kläger zu einer Abzweigung von Leistungen an das Sozialamt an. Am 08.08.2002 trug der Kläger vor, dass er nicht von seiner Familie getrennt lebe. Am 03.09.2002 teilte der Kläger dann mit, dass seit ca. Mitte August 2002 seine Ehefrau von ihm getrennt lebe. Mit Bescheid vom 13.09.2002 entzog die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe wegen fehlender Mitwirkung ab dem 16.09.2002, weil der Kläger keinen Fortzahlungsantrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt hatte. Am 19.09.2002 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Er gab an, er habe derzeit Steuerklasse 3 und werde Änderungen der Steuerklasse unverzüglich mitteilen. Er bestätigte den Erhalt des Merkblatts 1 für Arbeitslose. Ab dem 16.09.2002 wurde ihm unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 300,72 Euro bis zum 03.07.2003 weiterbewilligt.

Am 18.01.2003 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid. Sie verwies darauf, dass der Leistungssatz durch die Leistungsentgeltverordnung 2003 geändert worden sei. Es ergab sich unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe C ein wöchentlicher Zahlbetrag in Höhe von 298,13 Euro.

Am 03.07.2003 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag. Er gab dabei an, dass seit Jahresbeginn auf seiner Lohnsteuerkarte Steuerklasse 1 eingetragen sei. Ab dem 03.07.2003 wurde die Arbeitslosenhilfe herabgesetzt unter Zugrundelegung von Leistungsgruppe A gezahlt. Mit Schreiben vom 19.08.2003 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass dieser nach ihren Erkenntnissen in der Zeit vom 01.01. bis 02.07.2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1359,69 Euro zu Unrecht bezogen habe. Obwohl er bereits ab dem 01.01.2003 Steuerklasse 1 gehabt habe, habe er dies erst bei seinem Fortzahlungsantrag im Juli 2003 mitgeteilt. Die Beklagte setzte dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme bis zum 12.09.2003. In der Verwaltungsakte befindet sich weder ein Abvermerk noch ein Nachweis des Zugangs des Anhörungsschreibens. Der Kläger äußerte sich zu diesem Schreiben in der Folgezeit nicht.

Mit Bescheid vom 12.08.2004 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 02.07.2003 teilweise in Höhe von wöchentlich 52,01 Euro auf. Dem Kläger sei Arbeitslosenhilfe unter Zugrundelegung der Steuerklasse 3 gezahlt worden, obwohl bereits ab dem 01.01.2003 die Steuerklasse 1 auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen sei. Der Kläger habe seine Verpflichtung, alle Änderungen in seinen Verhältnissen mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Die Beklagte machte einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1359,69 Euro geltend.

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