Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgung des Versicherten mit Medizinal-Cannabisblüten nach Genehmigungsfiktion des gestellten Leistungsantrags im Wege des einstweiligen Rechtschutzes

 

Orientierungssatz

1. Hat die Krankenkasse die Frist zur Bescheidung eines Leistungsantrags des Versicherten nach § 13 Abs. 3a SGB 5 nicht eingehalten, ohne dem Versicherten einen hinreichenden Grund dafür mitzuteilen, so gilt die beantragte Leistung nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB 5 als genehmigt.

2. Die Fiktion des § 13 Abs. 3a SGB 5 greift, wenn der gestellte Antrag so konkret ist, dass er bescheidungsfähig ist.

3. Dem Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs. 6 SGB 5 ist immanent, dass die eigentliche Naturalleistung nicht unmittelbar auf Basis der fingierten Genehmigung erlangt werden kann, sondern erst nach weiteren Zwischenschritten in Form vertragsärztlicher Prüfungen und Verordnungen. Mehr als im Fall einer tatsächlich durch die Krankenkasse geprüften und erteilten Genehmigung kann der Antragsteller auf der Basis einer fingierten Genehmigung des gestellten Leistungsantrags nicht verlangen.

4. Die beantragte Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten unterfällt ihrer Art nach seit der Einführung des § 31 Abs. 6 SGB 5 mit Wirkung vom 10. 3. 2017 dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.06.2017 wird im Rubrum dahingehend berichtigt, dass die Antragsgegnerin vertreten wird "durch den Vorstand H I" und nicht "durch den Vorstand I O".

Der Beschluss wird im Tenor dahingehend berichtigt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, den Antragsteller für die Zeit ab dem 20.06."2017" (nicht "2016") bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens mit "vertragsärztlich" (nicht ärztlich) verordneten Medizinal-Cannabisblüten zu versorgen.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.06.2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragstellers auch im zweiten Rechtszug.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten.

Der 1970 geborene Antragsteller erlitt 2005 bei einem Unfall eine Hüftgelenksausrenkung rechts mit begleitendem Hüftkopfbruch und Bruch des hinteren Hüftpfannenpfeilers. Unfallfolgen waren u.a. eine motorische und sensible Peronaeuslähmung rechts, chronisch-neuropathische Schmerzen am rechten Unterschenkel und Fuß sowie belastungsabhängige Schmerzen. Zur Behandlung der Schmerzen wurden die Antikonvulsiva Pregabalin und Gabapentin, die stark wirkenden Opioide Oxycodon, Oxygesic und Tramadol, das nichtopioide, fiebersenkende Schmerzmittel Novaminsulfon und - wegen der Nebenwirkungen der Schmerzmedikation - das Antidepressivum Amitriptylin eingesetzt. Wann genau und für welchen Zeitraum welche Schmerzmedikation unter Aufsicht welchen Arztes appliziert wurde, steht bisher nicht sicher fest (vgl. Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 02.05.2017, Seite 5).

Nach Angaben des Antragstellers war er wegen der hohen Dosierung zwischenzeitlich von Opiaten abhängig; diese Abhängigkeit habe er ab 2009/2010 nur durch die begleitende Einnahme von "Cannabis-Produkten" überwinden können. Die erreichte Schmerzverminderung und die geringeren Nebenwirkungen (keine bzw. geringere Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Taubheitsgefühl im Bereich der Haut) hätten ihm erlaubt, eine Lehre zu beginnen und erfolgreich abzuschließen. Nachdem er zuvor Rente wegen Erwerbsminderung bezogen habe (11.02.2013 bis 31.03.2015), erziele er inzwischen wieder Erwerbseinkommen.

Ab April 2014 verfügte der Antragsteller über eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten nach entsprechenden Dosierungsvorgaben des behandelnden (Privat-) Arztes Dr. H. Die Antragsgegnerin übernahm für drei Monate die Kosten für diese Behandlung (15.07.-14.10.2014), bestand dann aber darauf, die Arzneimittelversorgung zu ändern. Ab November 2014 wurde insoweit ein sog. Off-Lable-Use-Therapieversuch mit dem cannabishaltigen Mundspray Sativex unternommen.

Am 04.11.2015 beantragte der Antragsteller, die Kosten für die (weitere) Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten zu übernehmen. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin nach Anhörung des MDK Nordrhein ab (Bescheid vom 11.11.2015, Widerspruchsbescheid vom 11.03.2016). Stattdessen übernehme sie weiter die Kosten für das Arzneimittel Sativex.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Klage erhoben - S 8 KR 339/16 Sozialgericht (SG) Düsseldorf -. Zudem hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Über den 30.06.2016 hinaus sei er nicht in der Lage, die Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten weiter zu finanzieren, da das Erziehungsgeld der Ehefrau i.H.v. 1.800,00 EUR weggefallen sei. Im Übrigen sei es ihm nur bei Einnahme von Cannabisblüten weiter möglich, einen geregelten Alltag zu führen und seiner ...

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